Graues Land (German Edition)
welche Titel Demi ihr Eigen nennt. Doch ich denke mir, dass es ihr in diesen Zeiten, in denen man nichts mehr besitzt als die Kleider auf der Haut, egal sein wird, welches Buch ich ihr mitbringe. Ein Relikt aus der alten Zeit würde ihr Herz auch höher schlagen lassen, wenn sie das Buch davor schon hundertmal gelesen hätte.
Im Dunkeln kann ich die Titel nicht entziffern. So nehme ich das Buch mit, dessen Einband mir am besten gefällt. Einen einzelnen Kaktus kann ich sehen, dahinter eine weite Prärie, in der sich Berge wie Schatten am Horizont abzeichnen. Ich presse das Buch fest gegen meine Brust, während ich das Gewehr jetzt mit einer Hand trage und locker an der Seite herabhängen lasse.
Gerade will ich den Laden verlassen und somit die Flut der Erinnerungen in mein mit Sicherheit geschädigtes Unterbewusstsein zurückdrängen, als ich vor einem weiteren Regal stehenbleibe. Mein Blick fällt auf ein Buch, das nicht in der Reihe mit den anderen steht, sondern auf einer kleinen Ablagefläche vor dem Regal als Sonderangebot angepriesen wird.
Mein Herz verkrampft sich, als ich den Titel lese. Es ist jener erste Band in Stephen Kings Saga vom »Dunklen Turm« , in der sich die Welt weitergedreht hat.
Ich hatte das Buch damals geliebt, sowie die darauf folgenden Bände. Jetzt spüre ich plötzlich eine tiefe Wut in mir aufsteigen. Ich weiß nicht, ob ich sie gegen mich selbst richte, da ich diesen unglückseligen Satz zu meinem eigenen Motto erkoren habe, oder aber gegen den Schriftsteller, dass er diesen Satz überhaupt kreiert hat. Ein kleiner, vor Irrsinn lachender Teil meines Verstandes kreischt plötzlich, dass der Autor die alleinige Schuld am Untergang der Zivilisation trägt. Mit dem Niederschreiben dieses einen Satzes hat er Mächte heraufbeschworen, deren Kontrolle der Menschheit schnell entglitten war und die Welt in Stücke gerissen hatten.
Vielleicht bräuchte ich das Buch nur zu zerreißen und alles wäre wie früher. Ebenso wie die Zeitungen in dem Ständer an der Kasse. Wenn es etwas nicht gibt, kann es auch nicht eintreten.
Für den aberwitzigen Moment einer Sekunde denke ich daran, meine Waffe hochzunehmen, auf dieses unheilige Werk zu zielen und Mr. Kings Buch der Offenbarung in tausend brennende Fetzen zu schießen. Mein Finger spielt mit dem Abzug des Gewehrs. Doch ehe ich meine dummen Gedanken in die Tat umsetzen kann, höre ich Barrys ängstliches Rufen gedämpft durch das Glas der Eingangstür.
»Ich bin hier, keine Sorge«, rufe ich mit einer Stimme zurück, in der Zorn und sogar Hass mitschwingt. Nie wieder würde ich ein Buch von Stephen King anrühren.
Als ich mit dem Buch für Demi im Arm aus dem Laden trete, sehe ich Barry neben meinem Einkaufswagen stehen. Selbst auf die Entfernung hin ist ihm seine Erleichterung anzusehen, als er mich erblickt.
»Was hast du da?«
Er wirft einen kurzen Blick auf das Buch. Doch ich kann ihm seine Nervosität ansehen, da seine Augen schnell wieder von dem Buch abschweifen und die Umgebung beobachten.
»Für Demi«, antworte ich und präsentiere Karl May so stolz wie ein Sportler seine Trophäe.
»Wir sollten keine Zeit mehr verlieren«, entgegnet Barry und betrachtet mit einem zufriedenen Nicken unsere beiden Einkaufswagen. In einer anderen Welt hätten wir mit den überladenen Wagen wahrscheinlich lächerlich gewirkt. Doch in dieser Welt scheinen sie sogar noch zu klein zu sein. Die Vorräte würden nicht ewig halten. Irgendwann würden wir wieder nach Devon zurückkommen müssen und unsere Wagen erneut beladen.
Barry schiebt seinen Einkaufswagen über knirschende Glasscherben durch die Eingangstür zum Pick-up. Die Luft, die uns draußen erwartet, ist angenehm kühl. Erst jetzt wird mir bewusst, wie sehr der Einkaufsmarkt nach Fäulnis gerochen hat.
»Wir werfen jetzt alles auf die Ladefläche und sehen zu, dass wir nach Hause kommen.«
Barry lässt die Rückwand des Pick-ups herunter und beginnt Gläser und Kartons auf der Ladefläche zu verstauen. Ich nehme meinerseits die Nudeltüten und Getränke aus dem Wagen. Die Flaschen platziere ich so zwischen Kartons und Tüten, dass sie während der Fahrt nicht beschädigt werden können. Das DVD-Gerät und das Buch für Demi stelle ich auf die Seite.
Wir arbeiten schweigend und konzentrieren uns darauf, so schnell wie möglich unsere Beute zu verstauen. So bemerken wir beide nicht die Gestalt, die sich uns über den Parkplatz nähert. Erst das müde Schaben der Füße auf dem Asphalt
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