Graues Land (German Edition)
fast zwei Minuten, bis sich unsere Blicke treffen. Barry mustert mich für einen kurzen Augenblick, und mir wird bewusst, dass er sich ernsthafte Sorgen um seinen Vater macht.
»Wir sollten uns jeder einen Einkaufswagen schnappen«, sage ich daher mit betont fester Stimme. In Wahrheit bringe ich nur ein Krächzen zustande.
»Ja. Aber nimm nichts Verderbliches«, antwortet Barry, während er den Parkplatz erneut mit seinen Blicken absucht. »Nur Konserven und Nudeln. Und Früchte in der Dose. Solches Zeug.«
Ich muss lachen, woraufhin mich Barry mit großen Augen ansieht. Ich denke an Sarah, die stets darauf geachtet hatte, dass sich Barry als kleiner Junge von frischem Gemüse und frisch zubereitetem Fleisch ernährt. Was würde sie zu seiner Aussage von gerade sagen?
»Denkst du wirklich, wir finden noch irgendetwas Verderbliches in den Regalen? Ich meine etwas, das noch nicht mit einer schönen, dicken Schicht Schimmel überzogen ist.«
Jetzt lacht auch Barry.
Es tut so verdammt gut, hinter seine Maske der Anspannung sehen zu können.
»Da hast du wohl Recht«, sagt er und schlägt mir auf den Oberschenkel. »Alles, was Augen hat und zu uns zurücksieht, lassen wir liegen.«
Er legt seine Hand auf mein Gewehr. »Aber die hier, die nehmen wir mit.«
Dann wird er wieder ernst.
»Bist du bereit?«
»Bereit«, sage ich ohne jede Überzeugung und greife nach der Waffe.
Barry zieht seinerseits sein Gewehr aus dem Fußraum, sieht sich noch ein letztes Mal um und öffnet dann die Tür auf seiner Seite. Das Klicken des Schlosses dröhnt wie Hammerschläge über den Parkplatz. Ich öffne ebenfalls meine Tür und erschrecke wie ein kleines Kind, als mich die kalte Herbstluft empfängt. Als ich aussteige, kann ich mir trotz meiner Furcht ein Lächeln nicht verkneifen.
»Jeder einen Wagen«, wiederholt Barry noch einmal. »Wir gehen erst in den Supermarkt und dann in die Drogerie. Sie ist doch immer noch dort, wo ich sie in Erinnerung habe?«
Ich nicke und halte mich an meinem Gewehr fest.
»Es hat sich nichts verändert.«
Barry geht auf die Tür zu. An anderen Tagen wären die beiden Schiebetüren automatisch zur Seite geglitten. Schon als Barry mit dem Wagen bis fast an das Glas herangefahren ist. Doch heute bewegen sich die Flügel nicht. Barry betrachtet eine Sekunde das Glas, auf dem zahlreiche Abdrücke von kleinen und großen Händen zu sehen sind. Dann greift er seine Waffe am Lauf, gibt mir mit einem Handzeichen zu verstehen, zurückzutreten, und hämmert mit dem Kolben gegen das Glas. Das Geräusch ist ohrenbetäubend. Zweimal schallt es durch die Stille, als würde man mit einem Hammer auf einen Amboss einschlagen. Beim dritten Schlag explodiert die Scheibe des rechten Flügels mit einem hohlen Seufzen und sackt in sich zusammen.
Barry war instinktiv zurückgesprungen. Jetzt reißt er sein Gewehr hoch und zielt damit in die dunkle Halle des Supermarktes. Ich tue es ihm gleich und baue mich neben ihm auf.
Wir starren in das Dämmerlicht des Supermarktes, bereit, jederzeit unsere Waffen abzufeuern. Abgestandene, warme Luft schlägt uns wie eine Woge brackigen Wassers entgegen. Doch kein Laut ist zu hören.
»Ich glaube nicht, dass sich diese Kreaturen in Gebäuden verstecken«, unterbricht Barry die Stille. »In Boston habe ich zahlreiche Büros, Geschäfte und Drogeriemärkte durchstöbert. Und nirgends bin ich auf diese Monster gestoßen.«
Seine Worte vermögen mich nur schwach zu beruhigen. Mein Herz schlägt so laut, dass mich die alberne Furcht überkommt, man könnte es in ganz Devon hören.
»Wir sollten uns beeilen.« Barry sieht mich ernst an. Schweiß steht auf seiner Stirn. »Ich weiß nicht, was der Lärm des Wagens und der Scheibe alles aus seinem Versteck gelockt hat.«
Vor meinem geistigen Auge erscheint der Schatten des Mädchens von dem freien Grundstück. Ich frage mich, ob sie sich bereits auf den Weg gemacht hat, um dem Wagen zu folgen.
Barry betritt den Supermarkt und sieht sich noch einmal nach allen Seiten um. Durch die Oberlichter in der Decke und die zahlreichen, schmalen Fenstern, die wie eine Borte aus Glas unterhalb des Daches verlaufen, fällt genügend Licht in das Gebäude. Die Regale erheben sich wie schlafende Ungetüme vor uns. Zu unserer Rechten befinden sich die verwaisten Kassen. Ein Eldorado für Langfinger, schießt mir ein aberwitziger Gedanke durch den Kopf. Doch welchen Wert besitzt die uralte Geißel der Menschheit – Geld – heute noch?
Barry hält
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