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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Weltgebäudes, thronte der Staatspräsident.
    »Glauben Sie mir, Madame Bieler«, konnte Archilochos etwa sagen, indem er ehrfürchtig nach dem Bild des Staatspräsidenten im Edelweißrahmen starrte, das über den aufgestapelten Schnaps- und Likörflaschen hinter der Theke hing, »glauben Sie mir, unser Staatspräsident ist ein nüchterner Mann, ein Philosoph, ein Heiliger beinah. Raucht nicht, trinkt nicht, ist schon seit dreißig Jahren Witwer, hat keine Kinder. Sie können es in den Zeitungen lesen.«

    8

    Madame Bieler wagte nicht so ohne weiteres zu widerspre-chen. Vor dem Staatspräsidenten hatte auch sie, wie alle in diesem Lande, ein wenig Respekt, war er doch der einzige ruhende Pol im politischen Hin und Her, in der vorüberziehen-den Folge der Regierungen, wenn ihr auch ein solcher Ausbund an Tugend unheimlich vorkam. Lieber wollte sie es nicht glauben.
    »In den Zeitungen steht’s«, meinte Georgette daher zögernd.
    »Gewiß. Doch wie es in Wirklichkeit ist, weiß kein Mensch.
    Die Zeitungen lügen, sagt jeder.«
    Das sei ein Irrtum, antwortete Archilochos, die Welt sei im Grunde sittlich, und trank feierlich und gemessen Perrier, als wäre es Champagner.
    »Auch Auguste glaubt an die Zeitungen.«
    »Nein«, sagte Georgette. »Das weiß ich besser. Auguste glaubt den Zeitungen kein Wort.«
    »Nun, glaubt er etwa nicht an die Sportresultate, die in den Zeitungen stehen?«
    Dagegen wußte Madame Bieler nichts einzuwenden.
    »Tugend ist sichtbar«, fuhr Archilochos fort und reinigte seine randlose, verbogene Brille. »Sie leuchtet auf diesem Gesicht und leuchtet auf dem Gesicht meines Bischofs.«
    Damit wandte er sich dem Bildnis zu, das über der Türe hing.
    Der Bischof sei etwas sehr dick, protestierte Madame Bieler, der könne doch einfach nicht so tugendhaft sein.
    Archilochos war in seinem Glauben nicht zu erschüttern.
    »Seine Natur«, entgegnete er. »Wenn er nicht tugendhaft, philosophisch leben würde, wäre er noch dicker. Sehen Sie dagegen Fahrcks an. Wie unbeherrscht, wie unmäßig, wie hochmütig. Sündig in jeder Beziehung. Und eitel.«
    Er wies mit dem Daumen über seine rechte Schulter nach dem Bild des berüchtigten Revolutionärs.
    Madame Bieler blieb hartnäckig. »Eitel kann man doch nicht sagen«, stellte sie fest, »bei diesem Schnauz und bei diesen 9

    wilden Haaren. Und mit seinem sozialen Mitgefühl.«
    Das sei nur eine besondere Art der Eitelkeit, behauptete Arnolph.
    »Mir unverständlich, daß dieser Verführer hier hängt. Kam doch eben aus dem Gefängnis.«
    »Oh, man kann nie wissen«, sagte dann jedesmal Madame Bieler und trank in einem Zug ein Glas Campari aus. »Man kann nie wissen. Auch in der Politik muß man vorsichtig sein.«
    Der Bischof, um uns wieder seinem Bildnis zuzuwenden –
    jenes von Fahrcks hing an der gegenüberliegenden Wand –, dieser Bischof war Nummer Zwei in der abgestuften Welt des Herrn Archilochos. Es war kein katholischer Bischof, obgleich Madame Bieler in ihrer Art eine gute Katholikin war, die in die Kirche ging – wenn sie einmal ging –, inbrünstig zu weinen (doch ebenso inbrünstig weinte sie im Kino); es war aber auch kein protestantischer, Auguste Bieler (Gödu Bielers Gusti), aus der deutschen Schweiz eingewandert (Großaffoltern), der erste Gigant der Landstraße, den die Eidgenossenschaft hervorbrach-te (›Sport‹ vom 9. 9. 29), konnte ja keinen Bischof kennen als Zwinglianer (auch dies zwar nur auf seine Art: er hatte keine Ahnung, daß er Zwinglianer war), sondern der Bischof war das Haupt der Altneupresbyteraner der vorletzten Christen, einer vielleicht etwas ausgefallenen und unklaren Sekte, aus Amerika importiert, und er hing nur über der Türe, weil sich Archilochos, das Porträt unter dem Arm, bei Georgette vorgestellt hatte.
    Vor neun Monaten. Draußen ein Maientag, große Sonnen-flecke auf der Straße, schräge Strahlenbündel in der kleinen Wirtschaft, das goldene Radfahrertrikot Augustes noch einmal vergoldet, ebenso seine traurigen Rennfahrerbeine, die Haare flimmerndes Gewölk.
    »Madame«, hatte Archilochos damals zaghaft gesagt, »ich bin gekommen, weil ich das Bild unseres Staatspräsidenten in Ihrem Lokal bemerke. Über der Theke, an einer dominierenden 10

    Stelle. Ich bin Patriot und beruhigt. Ich suche einen Platz für meine Mahlzeiten. Ein Heim. Aber es muß immer derselbe Platz sein, am besten in einer Ecke. Ich bin einsam, Buchhalter, lebe rechtschaffen und bin strenger Abstinenzler. Rauchen tue ich auch

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