Grimes, Martha - Inspektor Jury 20 - Inspektor Jury kommt auf den Hund NEU
weitergefahren, falls uns jemand gefolgt wäre, immer weiter. Das hat Spaß gemacht, was, Timmy?«
Timmy nickte nachdrücklich.
Wie kam es eigentlich, dass Kinder es schafften, ein haarsträubendes Erlebnis in Spaß zu verwandeln?
Jury war eine halbe Stunde vor Eintreffen der Kinder in sein Büro zurückgekommen. Sergeant Meek, der das Haus bewacht hatte, war mit Jury zusammen in das Haus gegangen, um nach ihnen zu suchen. Jury hatte ihn nicht darum gebeten, selbstverständlich nicht. Er hatte Meek darauf hingewiesen, es läge kein Durchsuchungsbefehl vor, und er würde sich womöglich eine Menge Ärger einhandeln.
»Aber die beiden Kleinen«, hatte Meek erwidert, »ich hab selber zwei Kinder, Chef. Wenn die in der Lage wären, da denk ich lieber nich dran, dass man sie hätte finden können, wenn nich irgendein Bulle auf 'nen Durchsuchungsbefehl gewartet hätte.«
Sehr wahrscheinlich waren die Kinder im Keller versteckt, zu dem die Tür von der Küchenseite her abgeschlossen und verriegelt war. Meek, dessen Onkel (wie er oft und gern erzählte) bis zu einer »unglückseligen Schlägerei« ein erstklassiger Tresorknacker gewesen war, hatte sein eigenes Spezialgerät für Türschlösser dabei. Das Schloss war im Übrigen kein besonders gutes. In ein paar Sekunden hatte der Sergeant es geöffnet.
Es war tatsächlich ein Weinkeller - Regalreihen über Regalreihen von Flaschen. Harry war also wirklich ein Weinkenner. Jury hatte angenommen, er würde sich vielleicht ein wenig mit Wein auskennen, aber nur ein wenig. Harry war Jury inzwischen geneigt zu denken, hatte mit der Wahrheit nicht viel am Hut.
Nein. Harry war ein Schweinehund. Ein selbstherrlicher, eingebildeter, arglistiger - und nicht zu vergessen, gefährlicher -Dreckskerl. Ein sehr, sehr cleverer Dreckskerl.
Im Keller war nichts - keine Kinder, kein Hinweis darauf, dass sie dort gewesen waren.
Wohin hatte er sie gebracht? Denn Jury wusste, dass sie sich dort aufgehalten hatten.
»Schauen Sie mal hier, Chef«, sagte Meek.
Jury ließ die Weinregale sein und kam zu Meek herüber. Weinkisten, hochkant gestellt, aufeinander gestapelt.
»Das Fenster da steht offen«, sagte Meek. »Nich besonders groß, is aber auch nich nötig. Da haben wir's, was?« Jury lachte. Da hatten sie es in der Tat.
Jurys Mobiltelefon ließ einen schauerlich süßen Klingelton vernehmen: leises Glockengebimmel. Er zog es hervor, meldete sich.
Es war Melrose, der ihm mitteilte, dass Harry soeben zur Tür hinausgegangen war. »Als er merkte, dass Sie weg waren, schnappte er sich Mungo und zog ab. Wirkte aber nicht unbedingt aufgeregt. Vermutlich fand er, das Treffen mit mir habe sich gelohnt. Falls Sie was über das Korrespondenzprinzip wissen wollen, bin ich Ihr Mann. Wunderbar unterhalten haben wir uns - ich, auferstanden von den Toten. Irgendwie hat er es aber wohl doch nicht so ganz geglaubt.«
Jury beendete den Anruf und sagte: »Diese Kisten, Sergeant, schnappen Sie sich davon mal die kleine, und dann gehen wir.«
Die kleinere der beiden Kisten war immer noch recht sperrig. Sergeant Meek schaffte es aber, lachte sogar. »Diese beiden Kleinen!«, sagte er. »Ganz schön coole Typen.«
Jury lächelte. »Cooler geht's nicht.«
Die Kiste ging direkt ins Gerichtslabor.
»Tut mir leid, Chef. Keine Fingerabdrücke.«
Jury sprach mit einem der Fingerabdruckspezialisten. »Es muss aber doch welche geben - ich meine, die Kinder haben die Kisten unters Fenster geschoben, sie haben sie auch aufgestapelt. Wie kann es sein, dass da keine Fingerabdrücke dran sind?«
»Zwei Dinge: Erstens, die Kiste ist aus unbehandeltem Holz. Darauf hält ja nichts. Zweitens, die Kinder trugen vielleicht Handschuhe.«
»Wieso sollten sie Handschuhe tragen?« »Wurden vielleicht dazu gezwungen. Sie sagten, sie hätten die Kisten unters Fenster gestellt und seien so rausgekrochen. Aber dann hätten sie auf dem Fenster oder drum herum Abdrücke hinterlassen. Wäre schwer zu vermeiden gewesen.«
»Nicht, wenn sie Handschuhe trugen«, sagte Jury.
»Kommt darauf an, was für welche. Wenn der Handschuh dünn genug war, ging der Abdruck vielleicht durch. Haben Sie dort Latexhandschuhe rumliegen sehen?«
»Nein, die hätte ich ja mitgenommen, oder?«
»Entschuldigung, Chef. Jetzt schauen wir uns erst mal den Fensterrahmen an. Mal sehen, was dabei herauskommt.«
Die sofortige Suspendierung - für mich, Sergeant Meek und auch für Sie, falls Sie sich uns mit Ihrem Instrumentenkoffer anschließen
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