Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
Schneewittchen lange, lange Zeit in dem Sarg und verweste nicht, sondern sah aus, als wenn es schliefe, denn es war noch so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz.
Es geschah aber, dass ein Königssohn in den Wald geriet und zu dem Zwergenhaus kam, da zu übernachten. Er sah auf dem Berg den Sarg und das schöne Schneewittchen darin und las, was mit goldenen Buchstaben darauf geschrieben war. Da sprach er zu den Zwergen: »Lasst mir den Sarg, ich will euch geben, was ihr dafür haben wollt.« Aber die Zwerge antworteten: »Wir geben ihn nicht für alles Gold in der Welt.« Da sprach er: »So schenkt mir ihn, denn ich kann nicht leben, ohne Schneewittchen zu sehen, ich will es ehren und hochachten wie mein Liebstes.«
Wie er so sprach, empfanden die guten Zwerglein Mitleid mit ihm und gaben ihm den Sarg. Der Königssohn ließ ihn nun von seinen Dienern auf den Schultern forttragen. Da geschah es, dass sie über einen Strauch stolperten, und von dem Schüttern fuhr der giftige Apfelrest, den Schneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals. Und nicht lange, so öffnete es die Augen, hob den Deckel vom Sarg in die Höhe und richtete sich auf und war wieder lebendig. »Ach Gott, wo bin ich?«, rief es.
Der Königssohn sagte voll Freude: »Du bist bei mir«, und erzählte, was sich zugetragen hatte, und sprach: »Ich habe dich lieber als alles auf der Welt; komm mit mir in meines Vaters Schloss, du sollst meine Gemahlin werden.«
Da war ihm Schneewittchen gut und ging mit ihm, und ihre Hochzeit ward mit großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet. Zu dem Feste wurde aber auch Schneewittchens gottlose Stiefmutter eingeladen. Wie sie sich nun mit schönen Kleidern angetan hatte, trat sie vor den Spiegel und sprach:
»Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die Schönste im ganzen Land?«
Der Spiegel antwortete:
»Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
aber die junge Königin ist noch tausendmal schöner als ihr.«
Da stieß das böse Weib einen Fluch aus, und ward ihr so angst, so angst, dass sie sich nicht zu lassen wusste. Sie wollte zuerst gar nicht auf die Hochzeit kommen, doch ließ es ihr keine Ruhe, sie musste fort und die junge Königin sehen.
Und wie sie hineintrat, erkannte sie Schneewittchen, und vor Angst und Schrecken stand sie da und konnte sich nicht regen. Aber es waren schon eiserne Pantoffel über Kohlenfeuer gestellt und wurden mit Zangen hereingetragen und vor sie hingestellt. Da musste sie in die rot glühenden Schuhe treten und so lange tanzen, bis sie tot zur Erde fiel.
Der Ranzen, das Hütlein und das Hörnlein 1
E s waren einmal drei Brüder, die waren immer tiefer in Armut geraten, und endlich war die Not so groß, daß sie Hunger leiden mußten und nichts mehr zu beißen und zu brechen hatten. Da sprachen sie: »Es kann so nicht bleiben; es ist besser, wir gehen in die Welt und suchen unser Glück.« Sie machten sich also auf und waren schon weite Wege und über viele Grashälmerchen gegangen, aber das Glück war ihnen noch nicht begegnet. Da gelangten sie eines Tages in einen großen Wald, und mitten darin war ein Berg, und als sie näher kamen, so sahen sie, daß der Berg ganz von Silber war.
Da sprach der älteste: »Nun habe ich das gewünschte Glück gefunden und verlange kein größeres.« Er nahm von dem Silber, soviel er nur tragen konnte, kehrte dann um und ging wieder nach Haus. Die beiden andern aber sprachen: »Wir verlangen vom Glück noch etwas mehr als bloßes Silber«, rührten es nicht an und gingen weiter. Nachdem sie abermals ein paar Tage gegangen waren, so kamen sie zu einem Berg, der ganz von Gold war.
Der zweite Bruder stand, besann sich und war ungewiß. »Was soll ich tun?«, sprach er, »soll ich mir von dem Golde soviel nehmen, daß ich mein Lebtag genug habe, oder soll ich weitergehen?« Endlich faßte er einen Entschluß, füllte in seine Taschen, was hinein wollte, sagte seinem Bruder Lebewohl und ging heim. Der dritte aber sprach: »Silber und Gold, das rührt mich nicht: Ich will meinem Glück nicht absagen, vielleicht ist mir etwas Besseres beschert.«
Er zog weiter, und als er drei Tage gegangen war, so kam er in einen Wald, der noch größer war als die vorigen und gar kein Ende nehmen wollte; und da er nichts zu essen und zu trinken fand, so war er nahe daran zu verschmachten. Da stieg er auf einen hohen Baum, ob er da oben Waldes Ende sehen möchte, aber so weit
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