Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
Faulheit Schaden gebracht, ein gebrochenes Bein und geschwollene Waden. Unser drei lagen auf einem Fahrweg, und ich hatte die Beine ausgestreckt. Da kam jemand mit einem Wagen, und die Räder gingen mir darüber. Ich hätte die Beine freilich zurückziehen können, aber ich hörte den Wagen nicht kommen; die Mücken summten mir um die Ohren, krochen mir zu der Nase herein und zu dem Mund wieder heraus; wer will sich die Mühe geben, das Geschmeiß wegzujagen.«
Der elfte sprach: »Gestern habe ich meinen Dienst aufgesagt. Ich hatte keine Lust, meinem Herrn die schweren Bücher noch länger herbeizuholen und wieder wegzutragen; das nahm den ganzen Tag kein Ende. Aber die Wahrheit zu sagen, er gab mir den Abschied und wollte mich auch nicht länger behalten, denn seine Kleider, die ich im Staub liegen ließ, waren von den Motten zerfressen; und das war recht.«
Der zwölfte sprach: »Heute mußte ich mit dem Wagen über Feld fahren, ich machte mir ein Lager von Stroh darauf und schlief richtig ein. Die Zügel rutschten mir aus der Hand, und als ich aufwachte, hatte sich das Pferd beinahe losgerissen, das Geschirr war weg, das Rückenseil, Kummet, Zaum und Gebiß. Es war einer vorbeigekommen, der hatte alles fortgetragen. Dazu war der Wagen in eine Pfütze geraten und stand fest. Ich ließ ihn stehen und streckte mich wieder aufs Stroh. Der Herr kam endlich selbst und schob den Wagen heraus, und wäre er nicht gekommen, so läge ich nicht hier, sondern dort und schliefe in guter Ruh.«
Das Hirtenbüblein
E s war einmal ein Hirtenbübchen, das war wegen seiner weisen Antworten, die es auf alle Fragen gab, weit und breit berühmt. Der König des Landes hörte auch davon, glaubte es nicht und ließ das Bübchen kommen. Da sprach er zu ihm: »Kannst du mir auf drei Fragen, die ich dir vorlegen will, Antwort geben, so will ich dich ansehen wie mein eigen Kind, und du sollst bei mir in meinem königlichen Schloß wohnen.«
Sprach das Büblein: »Wie lauten die drei Fragen?«
Der König sagte: »Die erste lautet: Wieviel Tropfen Wasser sind in dem Weltmeer?«
Das Hirtenbüblein antwortete: »Herr König, laßt alle Flüsse auf der Erde verstopfen, damit kein Tröpflein mehr daraus ins Meer lauft, das ich nicht erst gezählt habe, so will ich Euch sagen, wieviel Tropfen im Meere sind.«
Sprach der König: »Die andere Frage lautet: Wieviel Sterne stehen am Himmel?«
Das Hirtenbüblein sagte: »Gebt mir einen großen Bogen weiß Papier«, und dann machte es mit der Feder so viele feine Punkte darauf, daß sie kaum zu sehen und fast gar nicht zu zählen waren und einem die Augen vergingen, wenn man darauf blickte. Darauf sprach er: »Soviel Sterne stehen am Himmel, als hier Punkte auf dem Papier, zählt sie nur.«
Aber niemand war dazu imstand. Sprach der König: »Die dritte Frage lautet: Wieviel Sekunden hat die Ewigkeit?«
Da sagte das Hirtenbüblein: »In Hinterpommern liegt der Demantberg, der hat eine Stunde in die Höhe, eine Stunde in die Breite und eine Stunde in die Tiefe; dahin kommt alle hundert Jahre ein Vögelein und wetzt sein Schnäbelein daran, und wenn der ganze Berg abgewetzt ist, dann ist die erste Sekunde von der Ewigkeit vorbei.«
Sprach der König: »Du hast die drei Fragen aufgelöst wie ein Weiser und sollst fortan bei mir in meinem königlichen Schlosse wohnen, und ich will dich ansehen wie mein eigenes Kind.«
Die heilige Frau Kummerniß
E s war einmal eine fromme Jungfrau, die gelobte Gott, nicht zu heiraten, und war wunderschön, so dass es ihr Vater nicht zugeben und sie gern zur Ehe zwingen wollte. In dieser Not flehte sie Gott an, dass er ihr einen Bart wachsen lassen sollte, welches alsogleich geschah; aber der König ergrimmte und ließ sie an’s Kreutz schlagen, da ward sie eine Heilige.
Nun geschah’ es, dass ein gar armer Spielmann in die Kirche kam, wo ihr Bildnis stand, kniete davor nieder, da freute es die Heilige, dass dieser zuerst ihre Unschuld anerkannte, und das Bild, das mit goldnen Pantoffeln angetan war, ließ einen davon los- und herunterfallen, damit er dem Pilgrim zu gut käme. Der neigte sich dankbar und nahm die Gabe.
Bald aber wurde der Goldschuh in der Kirchen vermißt, und geschah allenthalben Frage, bis er zuletzt bei dem armen Geigerlein gefunden, auch es als ein böser Dieb verdammt und ausgeführt wurde, um zu hangen. Unterwegs aber ging der Zug an dem Gotteshaus vorbei, wo die Bildsäule
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