Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
fort. Dann lief er heim, schloß die Haustüre zu und setzte sich auf seinen Stuhl und arbeitete. Endlich, als es schon ganz dunkel war, erwachte die kluge Else, und als sie aufstand, rappelte es um sie herum, und die Schellen klingelten bei jedem Schritte, den sie tat.
Da erschrak sie, ward irre, ob sie auch wirklich die kluge Else wäre, und sprach: »Bin ich’s, oder bin ich’s nicht?« Sie wußte aber nicht, was sie darauf antworten sollte, und stand eine Zeitlang zweifelhaft; endlich dachte sie: Ich will nach Haus gehen und fragen, ob ich’s bin oder ob ich’s nicht bin, die werden’s ja wissen.
Sie lief vor ihre Haustüre, aber die war verschlossen; da klopfte sie an das Fenster und rief: »Hans, ist die Else drinnen?« – »Ja«, antwortete Hans, »sie ist drinnen.« Da erschrak sie und sprach: »Ach, Gott, dann bin ich’s nicht«, und ging vor eine andere Tür; als aber die Leute das Klingeln der Schellen hörten, wollten sie nicht aufmachen, und sie konnte nirgends unterkommen. Da lief sie fort zum Dorfe hinaus, und niemand hat sie wiedergesehen.
Hansens Trine
H ansens Trine war faul und wollte nichts tun. Sie sprach zu sich selber: »was tu’ ich? Eß ich, oder schlaf ich, oder arbeit ich? – Ach! Ich will erst essen!« – Als sie sich dicksatt gegessen hatte, sprach sie wieder: »was tu’ ich? Arbeit ich, ober schlaf ich? – Ach! Ich will erst ein bischen schlafen.«
Dann legte sie sich hin und schlief, und wenn sie aufwachte, war es Nacht, da konnte sie nicht mehr zur Arbeit ausgehen. Einmal kam der Hans Nachmittags nach Haus und fand die Trine wieder in der Kammer liegen und schlafen, da nahm er sein Messer und schnitt ihr den Rock ab, bis an die Knie. Trine wachte auf und gedacht: nun willst du zur Arbeit gehn. Wie sie aber hinauskommt und sieht, dass der Rock so kurz ist, erschrickt sie, wird irr, ob sie auch wirklich die Trine ist, und spricht zu sich selber: »bin ichs oder bin ichs nicht?«
Sie weiß aber nicht, was sie drauf antworten soll, steht eine Zeitlang zweifelhaftig, endlich denkt sie: »du willst nach Haus gehen und fragen, ob dus bist, die werdens schon wissen.« Also geht sie wieder zurück, klopft ans Fenster und ruft hinein: »ist Hansens Trine drinnen?«; die andern antworten, wie sie meinen: »ja, die liegt in der Kammer und schläft.« – »Nun dann bin ichs nicht«, sagt die Trine vergnügt, geht zum Dorf hinaus und kommt nicht wieder, und Hans war die Trine los.
Der Schneider im Himmel
E s trug sich zu, dass ein Schneider starb, der lahm war und deshalb vor den Himmel nicht gegangen, sondern gehinkt kam. Er klopfte an die Pforte, der heilige Petrus aber, der dabei die Wache hat, wollte sie nicht gleich auftun, sondern fragte: »wer klopft?«
»Ein armer, ehrlicher Schneider bittet um Einlass.«
»Ja, ehrlich, wie der Dieb am Galgen«, sprach der heilige Petrus, »du hast lange Fingern gemacht und den Leuten das Tuch abgezwickt. Geh in die Hölle, wo du das Gestohlne doch hingeworfen hast, in den Himmel kommst du nicht.«
»Ach du barmherziger Gott!«, rief das Schneiderlein, »ich hinke und habe von dem Weg daher Blasen an den Füßen, ich kann nicht wieder umkehren. Lasst mich doch in den Himmel ein, ich will gern hinter dem Ofen sitzen und die schlechte Arbeit tun, ich will die kleinen Kinder halten und reinigen, die Windeln waschen, die Bänke, darauf sie gespielt haben, abwischen und säubern, lasst mich nur ein.« Der heilige Petrus war mitleidig, ließ sich erweichen, und machte dem Schneiderlein die Himmelspforte so weit auf, dass es hereinschlüpfen konnte.
Das geschah etwa um Mittag, als der Herr gerade mit den Erzengeln und dem himmlischen Heer in den Garten gehen und sich erlustigen wollte. Da befahl er dem Schneider, dieweil niemand zugegen wäre, den Himmel in Ordnung zu halten, und zu achten, dass nicht jemand käme und etwas hinaustrüge.
»Ja«, sprach der Schneider, »soll alles gar wohl besorgt werden.« Als sie nun fortgegangen waren, besah der Schneider alle Gelegenheit im Himmel und stieg zuletzt vollends auf den Stuhl des Herrn, von welchem herab man alles sehen kann, was auf dem ganzen Erdreich geschieht. Da sah er unten auf der Welt ein altes, wüstes Weib bei einem Bache stehen und waschen und sah, wie es heimlich zwei Frauenschleier wegtat und stahl. Und ob er nun gleich im Leben mit dieser Arbeit sich oft abgegeben und der heilige Petrus ihm deshalb den Eingang zum Himmel fast
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