Grundwache
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Grundwache
Barents-See, 2. Juni 2003
Es war ein sonniger, kalter Morgen. Das Heckwasser spreizte sich wie ein Fächer, als die U 435 des Projekts 641 die Ura-Bucht verließ und in die Barents-See hinausfuhr. Die Anlagen von Widjajewo hatten sie schon seit Stunden hinter sich gelassen. Der Schnee war endlich geschmolzen und Alexej Rosanov, der in den Beinen das Wummern des Motors spürte, erinnerte sich an die Schlittenfahrt, die er mit Sergej und Mischa unternommen hatte, noch vor vier Wochen. Er würde nichts vom kurzen Sommer haben. Für ihn würde immer Tag sein, erhellt mit elektrischem Licht. Drei Monate lang. Wenn er heimkam, würden die richtigen, wahren Tage schon wieder dunkler werden. Er sog an seiner Zigarette, rauchte sie auf und warf sie schließlich ins Wasser. Möwen umkreisten den Turm des U-Boots, auf dem die Wachmannschaft mit Ferngläsern nach etwas Unbestimmten Ausschau hielt. Langsam entfernte sich der Küstenstreifen und hinterließ eine Leere in Alexejs Empfinden. Er war allein, auf sich gestellt, keine Nabelschnur verband ihn mit seinem bisherigen Leben. Es war seine erste große Fahrt. Zuhause hatten ihm alle auf die Schulter geklopft, der Vater, der Onkel. Seine Mutter hatte beim Abschied geweint. Alexej auf großer Manöverfahrt in die Nordsee. Oder ins Eismeer. Niemand außer dem Kapitän wusste, wohin die Reise ging.
Ein kurzer Pfiff, Alexej wandte den Kopf. Boris und Andrej hatten sich ebenfalls die Beine vertreten, doch sie alle wurden nun hereingerufen.
„ Rein mit euch!“ rief Kolja Kostowitsch, der Bootsmann. Alex Herz begann zu klopfen. Nun war es soweit - der lange Tag begann.
Durch die Ladeluke ging es hinein. Bereits nach den ersten Stufen der Stiege empfing ihn wieder warme Luft, nur unmerklich lagen Metallgeruch und Dieseldämpfe in ihr. Er würde zumindest nicht frieren, während draußen Temperaturen von 8 Grad herrschten - und das im Frühsommer. Der Kapitän nahm einen letzten Rundumblick, dann kletterte auch er vom Überwasserfahrtstand in die Kommandozentrale hinunter und gab Tauchbefehl. Vielstimmig wiederholte sich der Befehl, konzentriert starrten die Zentralegaste auf ihre Anzeigen. Alexej spürte keine Veränderung, erst, als eine stärkere Neigung befohlen wurde, senkte sich das Boot mit der Nase nach vorn, sodass Alexej sich beschleunigt fühlte, je näher er dem Bug kam, wo seine Koje lag. Er durchkletterte ein Schott nach dem nächsten, bis er im Torpedoraum angekommen war, und schaute sich nach seinen Sachen um, die noch auf der dünnen Matratze lagen. Er räumte sie weg, denn er wollte nicht, dass er einen Anschiss von Vitali bekam, mit dem er sich die Koje teilte. Er schloss mit einem gewissen Kraftaufwand die Klappe zu seinem Wandschrank, die kaum die wenigen Sachen, die er mitgenommen hatte, aufnehmen konnte. Vitali würde jetzt schlafen, acht Stunden lang, dann war er an der Reihe und durfte sich in seinen warmen Mief legen. So war das eben und er beschwerte sich nicht. Er klopfte auf einen Torpedo und spürte das Fett auf der blanken Oberfläche. Ratlos schaute er auf seine Hände. Das nächste Waschbecken war in der 3. Abteilung, sodass er sich den Gang ersparte und sich die Hände an der Hose abwischte. Nur ein baldiges Manöver würde ihnen mehr Platz verschaffen, denn dann würden diese Dinger, die mit Übungsgefechtsköpfen ausgestattet waren, verschossen werden. In diesem alten Boot hatte nicht jeder der 84 Mann Besatzung eine eigene Koje und für einen Moment bedauerte er, nicht einem der modernen Atom-U-Boote zugeteilt worden zu sein. Wie tief waren sie wohl gerade? Das Boot lag wieder horizontal im Wasser und seine Ausbildung begann. Das war schon etwas anderes als die Attrappen ausgedienter U-Boote, an denen er die Vorgänge rund um seine Arbeit als E-Maschinen-Mechaniker geübt hatte. Um ihn herum saßen Matrosen auf diversen Kojen, Kisten, Rohren, einige spielten Karten, andere unterhielten sich. Kolja Kostowitsch stand mit verschränkten Armen an einen Torpedo gelehnt und beobachtete ihn. Alexej schaute auf die
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