Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
dich selbst lügst du an, und wir hatten doch gesagt, dass das nicht in Ordnung ist.
Es ist nicht deine Aufgabe, mit den Eltern zu reden? Ja, wer soll es denn sonst tun?
Da gibt es sonst keinen. Punkt.
Ich hörte auf zu denken und tat alles wie in Trance, mit einer merkwürdigen Selbstsicherheit. Ich rief Fornelli an, erzählte ihm das Wichtigste und sagte, ich würde ihn in seiner Kanzlei abholen und dann mit ihm zu Manuelas Eltern fahren. Falls er andere Pläne oder irgendwelche Einwände hatte, gab ich ihm keine Chance, sie vorzubringen. Ich legte auf und fuhr noch einmal los. Der schlimmste Teil der Geschichte lag noch vor mir.
Als wir bei den Ferraros ankamen, erwarteten sie uns bereits. Fornelli hatte sie angerufen, und als ich ihre Gesichter sah, wusste ich, dass sie verstanden hatten.
Zum dritten Mal in knapp zwei Stunden erzählte ich, was ich entdeckt hatte und was mit Manuela geschehen war.
Ich erzählte fast alles.
Ein paar Teile der Geschichte behielt ich für mich. Dass Manuela mit Kokain gedealt hatte und wie das Pärchen die Leiche beseitigt hatte. Ich fand, dass ich das Recht hatte, ihnen zumindest diese Qualen zu ersparen. Sicherlich würden sie es früher oder später erfahren, bis ins letzte, schreckliche Detail. Aber nicht an diesem Abend und nicht von mir.
Als ich sagte, dass Manuela tot war, nahm Rosaria den Kopf zwischen die Hände, und ich dachte, sie würde einen Schrei ausstoßen. Aber stattdessen kam nur ein ersticktes Schluchzen. Sie blieb lange Zeit so sitzen, den Kopf zwischen den Händen und den Mund halb geöffnet, ein Bild stummer, unendlicher, unerträglicher Trauer.
Antonio, genannt Tonino, saß etwas weiter hinten an einen Tisch gelehnt. Er fing an zu weinen und dann zu schluchzen. Und ich saß da und sah und hörte, denn es gab nichts anderes, was ich hätte tun können.
Zum Glück dauerte es nicht lange. Eine Dreiviertelstunde nachdem ich zu den Ferraros gekommen war, saß ich wieder im Auto. Ich setzte Fornelli ab, der mich mit einem langen Monolog überschüttete, der davon handelte, wie großartig ich gewesen sei und dass ich ihm in den nächsten Tagen alle Details erzählen solle. Und dass ich selbstverständlich die Familie als Nebenkläger vertreten müsse.
Selbstverständlich nicht, sagte ich. Dafür würde er sich einen anderen Anwalt suchen müssen. Etwas in meinem Tonfall oder meinem Gesicht überzeugte ihn offensichtlich, dass es sinnlos wäre, mich umstimmen zu wollen oder auch nur Erklärungen zu verlangen.
Ich kam nach Hause und verspürte an mir und in mir eine überwältigende, pulsierende Müdigkeit.
Ich grüßte Mister Sandsack und sagte, ich wäre in zwei Minuten bei ihm. Ich ging ins Schlafzimmer, zog mich in aller Ruhe aus und bandagierte sorgfältig meine Hände, bevor ich die Boxhandschuhe überzog. Es gibt Situationen, da muss man die Dinge nach allen Regeln der Kunst durchführen.
Ich boxte eine halbe Stunde. Locker und schnell, als hätten sich die Müdigkeit und all das andere, was ich mit mir herumtrug und was schlimmer als die Müdigkeit war, in fließende, geheimnisvolle Energie verwandelt.
Dann duschte ich lange und heiß mit einem Duschgel mit Ambraduft, das ich vor Jahren gekauft und nie geöffnet hatte, weil ich immer auf eine gute Gelegenheit gewartet hatte. Die Gelegenheit war nie gekommen.
Als ich im Bademantel ins Wohnzimmer zurückkam, sagte ich laut, dass ich an diesem Abend nicht allein sein wollte und dass ich Nadia und dem alten Baskerville einen Besuch abstatten würde.
»Sorry, Mister Sandsack, es ist nicht so, dass ich deine Gesellschaft nicht schätzen würde. Ganz im Gegenteil. Aber manchmal bist du mir einfach zu schweigsam.«
Als ich aus dem Haus trat, merkte ich, dass die Stadt still geworden war. Der Wind hatte sich gelegt und nur einen Hauch von Meer in der Luft zurückgelassen. Die Nacht schien wieder ein ruhiger, gastlicher Ort geworden zu sein.
Ich stieg aufs Rad und fuhr schnell durch die menschenleere Straße davon.
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