Gut und richtig leben mit dem inneren Schweinehund
Reziprozität hofften. Das heißt: Sie gingen davon aus, dass sie für ihre Spenden belohnt, oder anders |22| herum, dass sie nicht wegen mangelnder Spendenbereitschaft bestraft würden. Nach Einschätzung von Burnham wussten die Teilnehmer zwar, dass es sich lediglich um ein Bild und um ein Robotergesicht handelt, dennoch reagierten tiefere psychische Schichten geradezu reflexhaft auf die großen Augen des Roboters.
Das Experiment zeigt die Wirkmacht von Porträts aller Art – sei es das von Unternehmensgründern, Politikern oder Heiligen. »Sie tragen die Botschaft mit sich, dass man unter Beobachtung steht und damit wohl das machen soll, was jeweils gewünscht wird – und sie sind entschieden billiger als Video- und andere technische Überwachungssysteme, die sich derzeit verbreiten und alle und alles unter Beobachtung stellen«, urteilt Florian Rötzer, der das Roboterkopf-Experiment in der Online-Zeitschrift Telepolis vorgestellt hatte. 1
Versteht der Schweinehund die Moral?
Der Schweinehund will also nicht moralisch sein. Das setzt voraus, dass er es könnte, wenn er nur wollte. Aber kann er überhaupt? Nur wenn wir uns den Schweinehund als Repräsentanten der finsteren, »bösen« Seite unserer Persönlichkeit vorstellen würden, dann könnte er – aber er entscheidet sich bewusst dagegen. Stellen wir uns den Schweinehund aber als den kindlichen Teil unseres Selbst vor, der alles jetzt und sofort haben und das tun will, wozu er gerade Lust hat, dann kann er nicht – weil seine moralische Urteilsfähigkeit (noch) nicht voll entwickelt ist.
Der US-amerikanische Soziologe Lawrence Kohlberg hat in den 50er Jahren die Entwicklung der Urteilsfähigkeit untersucht, indem er Kindern und Jugendlichen Konfliktgeschichten vorlegte und sie um Stellungnahme bat. Zum Beispiel das »Heinz-Dilemma«: Darf Ehemann Heinz in eine Apotheke einbrechen, um für seine Frau ein lebensrettendes Medikament zu stehlen? Heinz ist zu arm, |23| um dieses Medikament bezahlen zu können. Kohlberg interessierte sich dafür, welche Handlung die Befragten für gut hielten, vor allem aber für deren Argumentationsniveau.
Sein Ergebnis: Menschen durchlaufen drei Ebenen der moralischen Urteilsfähigkeit, die sich aus jeweils zwei Stufen zusammensetzen. 2
1. Ebene: Auf diesem Niveau der moralischen Urteilsfähigkeit befinden sich die meisten Kinder bis zum neunten Lebensjahr, einige Jugendliche sowie jugendliche und erwachsene Straftäter: Sie halten sich zunächst nur an Regeln, damit sie nicht »erwischt« und bestraft werden. Später erkennen sie die Gegenseitigkeit menschlichen Verhaltens nach dem Motto: »Wie du mir, so ich dir.«
2. Ebene: Die meisten Jugendlichen und Erwachsenen erreichen die zweite Ebene der moralischen Urteilsfähigkeit. Dabei richten Sie sich zunächst nach den moralischen Erwartungen anderer (»Guter Junge!«/»Braves Mädchen!«). Im nächsten Schritt erfassen sie, dass es für die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung notwendig ist, dass sich alle an die gemeinsamen Regeln halten.
3. Ebene: Nur wenige Erwachsene (ab dem 20. Lebensjahr) erreichen diese dritte Ebene. Hier hinterfragen sie moralische Normen und sehen diese nur noch dann als verbindlich an, wenn sie allgemein gut begründet sind. Grundrechte wie Gleichheit, Freiheit und die Würde jedes Menschen haben bei Gewissenskonflikten Priorität.
Normen werden hier an individuellen Prinzipien gemessen und führen nach der Vorstellung des Forschers zu einer universellen Moral, die über gesellschaftliche und kulturelle Grenzen hinaus Gültigkeit besitzt.
Gehen wir davon aus, dass der innere Schweinehund auf der ersten Ebene der Moralentwicklung hängen geblieben ist. Wenn er Sie dazu bringt, Ihre Versicherung ein ganz klein wenig übers Ohr zu hauen, dann plagt ihn überhaupt kein schlechtes Gewissen. Er verspürt lediglich ein leichtes Kribbeln bei dem Gedanken, was wohl |24| passiert, wenn man Ihnen auf die Schliche kommt. Haben Sie es mit einem schweinehündischen Gesellen zu tun, der psychologisch etwas weiter entwickelt ist, geht es Ihnen kaum besser. Ihr raubeiniger Begleiter benutzt dann die Moral nämlich gern als Deckmantel, um Sie von Ihren Vorhaben abzubringen. Etwa so: »Du kannst doch morgens nicht einfach zum Joggen gehen – Du musst der Familie brav den Frühstückstisch decken!«
Um Ihren Schweinehund auf die nächste Ebene zu hieven, müssen Sie ihn in dreifacher Hinsicht trainieren:
Er muss seine egozentrische Sichtweise
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