Gut und richtig leben mit dem inneren Schweinehund
überwinden und verstehen, dass andere Menschen ebenfalls berechtigte Ansprüche haben. (Falls Ihr Schweinehund ein überangepasster Moralist ist: Er muss lernen, dass auch Sie selbst berechtigte Ansprüche haben.)
Er muss aufhören, gegen eine von außen verhängte Moral blind zu revoltieren (oder ihr blind zu folgen) und stattdessen beginnen, Werte und Normen zu hinterfragen und selbst zu begründen.
Er muss sich lösen von der Orientierung an seiner momentanen Lust oder Unlust (oder an Anforderungen von außen) und sich stattdessen nach den Maßstäben richten, die er für sich selbst als wichtig und richtig erkannt hat.
»Er muss …« Wenn Sie das Ihrem inneren Schweinehund vorlesen, wird er nur verächtlich den Rüssel rümpfen. »Versuchs doch! Wir werden ja sehen, wie weit du damit kommst.« Tatsächlich ist es nicht leicht, einen Schweinehund dafür zu begeistern, sich aktiv mit Werten oder sogar Tugenden auseinanderzusetzen – und ihn letztendlich dafür zu begeistern. Aber es ist möglich. Dieses Buch möchte Sie dabei unterstützen.
|25| Der Schweinehund und der »Werteverlust«
Wenn der Schweinehund Sie zu kleinen Tricksereien oder Betrügereien verführen will, zieht er gerne ein Argument aus der Tasche, gegen das Sie nur schwer ankommen. Es ist das Schlagwort vom »Werteverlust«.
Dieses kursiert seit geraumer Zeit in den Medien aller westlichen Gesellschaften und scheint schon allein deshalb stichhaltig zu sein. Da wird der Zerfall der Familien angeprangert (»Schau«, sagt der Schweinehund, »ein kleiner Seitensprung ist doch heute ganz normal«), die Korruption in Wirtschaft und Politik (»Und du hast ein schlechtes Gewissen, bloß weil du lächerliche 20 Euro aus der Vereinskasse abzweigst?«), der Mangel an Disziplin (»Warum reißt du dich als einziger Mensch so zusammen?«), der Untergang der guten Sitten (»Ein bisschen Mobbing muss sein, sonst macht der Job doch keinen Spaß«) und die fettleibige Jugend (»Die lassen es sich gutgehen, da kannst du dir doch einmal eine Pizza bestellen!«), die nur noch am Computer sitzt (»Siehst du? Dann spiel doch noch eine Runde weiter«).
Tatsächlich ist der sogenannte »Werteverlust« ein altes Phänomen, das im 16. Jahrhundert einsetzt, im 18. Jahrhundert durchgreift und immer noch wirkt. Mit dem Übergang zur Moderne nämlich löst sich der Mensch aus der festen Einbindung in das religiöse Weltbild – und, so empfinden es viele, steht plötzlich allein da. Niemand sagt ihm mehr, wo er hingehört und worin das Ziel seines Lebens besteht. Zufälle und Schicksalsschläge lassen sich nicht mehr mit dem Verweis auf einen göttlichen Willen erklären – sie passieren einfach, und der Mensch muss sehen, wie er damit zurechtkommt. Gleichzeitig wird er für den Erfolg oder Misserfolg seines Lebens allein verantwortlich gemacht. Die Maßstäbe seines Handelns muss der Mensch nun selbst herausfinden und festlegen, ohne irgendeine Art von Sicherheit oder Gewissheit. Eine ziemliche Zumutung: Zum einen, diese Maßstäbe überhaupt festzulegen, |26| und zum anderen, sie dann auch noch umzusetzen. Die Religion nämlich war eine starke Quelle der Motivation, sich an bestimmte Regeln zu halten – zumindest für diejenigen, die ihr Leben auf ihr aufbauten, und für die, die auf eine Belohnung im Jenseits hofften.
Aber ist es tatsächlich so, dass alle bindenden Werte verschwunden sind, nur weil die Religion an Einfluss verloren hat? Hans Joas bestreitet das. Er vermutet vielmehr, »dass viele Menschen sich weiterhin ihrer besonderen Werte durchaus sicher fühlen und auf eine Verletzung ihrer Werte mit leidenschaftlicher Empörung reagieren«. Möglicherweise aber – und hier verweist er auf eine US-amerikanische Studie aus den 80er Jahren – fehlte den Menschen die Fähigkeit, ihre persönlichen Wertvorstellungen zu begründen. Warum? Sie haben zum einen den Bezug zu den Zehn Geboten der jüdisch-christlichen Religion verloren, kennen zum anderen aber auch keine weltlichen Formen der Moralbegründung, etwa den »Kategorischen Imperativ« von Immanuel Kant (dazu später mehr).
Wertewandel in den 60er und 70er Jahren
In Deutschland ist das Institut für Demoskopie Allensbach dem »Wertewandel« auf der Spur. Mit Umfragen Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre – die Zeit der Studentenbewegung, der Außerparlamentarischen Opposition (APO) und der antiautoritären Erziehung – konnten die Sozialforscher erstmals zeigen, wie sich die Werte der
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