Das Phantom von Manhattan - Roman
VORWORT
W as für uns zur Legende des Phantoms der Oper geworden ist, begann im Jahr 1910 in der Phantasie eines heute fast völlig in Vergessenheit geratenen französischen Autors.
Wie Bram Stoker bei Dracula , Mary Shelley bei Frankenstein und Victor Hugo bei Notre Dame de Paris (mit dem unsterblichen Glöckner Quasimodo) stieß Gaston Leroux zufällig auf eine eher vage Volkssage und sah darin den Kern einer wahrhaft tragischen Geschichte. Daraus entwickelte er seine Erzählung. Aber hier hören die Ähnlichkeiten auch schon auf.
Die anderen drei Werke wurden sofort zu Bestsellern und sind bis heute Millionen von Menschen bekannt. Von Dracula und Frankenstein gibt es zahllose Neuauflagen und filmische Remakes. Leroux war jedoch leider kein Victor Hugo. Als sein schmales Buch 1911 erschien, erregte es in Frankreich für
kurze Zeit Aufsehen und wurde in einer Zeitung sogar als Fortsetzungsroman veröffentlicht, bevor es buchstäblich in Vergessenheit geriet. Elf Jahre später, fünf Jahre vor dem Tod des Autors, gelangte seine Geschichte nur durch einen Zufall zu neuer Popularität.
Dieser Zufall kam in Gestalt eines zwergenhaft kleinen, jovialen, ehemals deutschen Juden namens Carl Laemmle daher, der als Junge nach Amerika ausgewandert war und es 1922 zum Präsidenten der Filmgesellschaft Universal Motion Pictures in Hollywood gebracht hatte. In diesem Jahr machte er eine Urlaubsreise nach Paris. Leroux hatte damals angefangen, sich in der französischen Filmindustrie zu betätigen. Durch diese Verbindung lernten die beiden Männer sich kennen.
Im Verlauf ihres ansonsten oberflächlichen Gesprächs erwähnte der amerikanische Filmmogul Leroux gegenüber, wie sehr ihm die weitläufige Pariser Oper, noch heute das größte Opernhaus der Welt, imponiert hatte. Leroux schenkte Laemmle daraufhin ein Exemplar seines schon damals in Vergessenheit geratenen Buches aus dem Jahr 1911. Der Präsident von Universal Pictures las es in einer einzigen Nacht.
Zu dieser Zeit beschäftigten Carl Laemmle gerade zwei Dinge: Erstens hatte er vor kurzem den Schauspieler Lon Chaney entdeckt, einen Mann, dessen Gesicht so beweglich war, daß es fast jede Form annehmen konnte. Universal hatte sich verpflichtet, erstmals Hugos Notre Dame de Paris , damals bereits ein Klassiker, mit Chaney als verkrüppeltem und eindrucksvoll
häßlichem Quasimodo zu verfilmen. In Hollywood wurde bereits die Kulisse für diesen Film gebaut - eine gigantische Holz- und Gipsnachbildung des mittelalterlichen Paris mit der Kathedrale Notre Dame im Vordergrund.
Zweitens hatte Laemmle das Problem, welchen Stoff er Chaney als nächstes anbieten sollte, damit sein Star nicht von der Konkurrenz abgeworben würde. Bei Tagesanbruch glaubte er, sein neues Projekt gefunden zu haben. Nach dem Buckligen würde Chaney das ebenso verkrüppelte und abstoßende, aber im Grunde genommen tragische Phantom der (Pariser) Oper darstellen. Wie alle guten Showmen wußte Laemmle, daß man Kinosäle auch damit füllen konnte, indem man dafür sorgte, daß das Publikum eine Gänsehaut bekam. Das Phantom, davon war er überzeugt, würde diese Wirkung haben - und damit sollte er recht behalten.
Er erwarb die Rechte, kehrte nach Hollywood zurück und ließ eine weitere Kulisse bauen - diesmal die Pariser Oper. Da der Nachbau der Oper Hunderte von Statisten würde tragen müssen, errichtete man ihn als erste Kulisse bei Universal mit Stahlträgern in Betonfundamenten. Deshalb wurde er auch nie abgerissen; er steht bis heute auf Stage 28 der Universal Studios und ist im Lauf der Jahre häufig wiederbenutzt worden.
Lon Chaney spielte wie vorgesehen erst die Hauptrolle in Der Glöckner von Notre Dame und anschließend die in Das Phantom der Oper. Beide Filme wurden Kassenschlager und machten Chaney unsterblich.
Das Phantom erschreckte die Zuschauer so, daß Frauen kreischten und sogar in Ohnmacht fielen - worauf in einem meisterhaften PR-Coup an den Kinokassen kostenlos Riechsalz ausgegeben wurde!
Es war mehr dieser Film als Leroux’ wenig beachtetes und weitgehend in Vergessenheit geratenes Buch, das die Phantasie des breiten Publikums anregte und die Phantomsage erst entstehen ließ. Zwei Jahre nach seiner Uraufführung brachte Warner Brothers mit The Jazz Singer den ersten Tonfilm heraus, womit die Ära des Stummfilms zu Ende ging.
Seit damals ist die Geschichte des Phantoms der Oper mehrmals neu verfilmt worden, aber in den meisten Fällen wurde die Story so verändert, daß
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