Gute-Nacht-Geschichten vom kleinen Apfelbäumchen
erleben.”
Die Tage und Wochen zogen ins Land, und die Äpfel des kleinen Baumes wurden reif. Da ließen die Gäste nicht lange auf sich warten. Alle kamen sie vorbei, um sich mit dem Apfelbaum zu unterhalten und von seinen Früchten zu naschen: Der Igel Schnuffel und seine Geschwister, Federchen und Gelbschnabel. Und auch Graufell, die kleine Feldmaus, fand sich ein. Allerdings immer erst dann, wenn die Igel gegangen waren.
Eines Tages gab es dann noch eine besondere Überraschung. Ein kleiner Schwarm junger Amseln ließ sich auf den Ästen nieder.
“Wir haben dich nicht vergessen”, sprach einer der Vögel. “Alle Amseln, die bei dir auf die Welt gekommen sind, wollen sich noch einmal bei dir bedanken - und etwas von deinen Äpfeln naschen.”
Dann fielen sie über die verbliebenen Früchte her und erzählten, wie es ihnen ergangen war. Da war der Apfelbaum glücklich, denn er wusste nun, dass er viele Freunde hatte, auch wenn sie nicht immer bei ihm sein konnten. Und so schlief er beim ersten Schnee zufrieden ein.
24. Böse ist nicht immer böse
Friedlich und im Wissen um seine vielen Freunde schlief der kleine Apfelbaum zufrieden den ganzen Winter. Nur widerwillig ließ er sich durch die Sonnenstrahlen des Frühlings aus seinen schönen Träumen wecken. Noch verschlafen blinzelte er zu dem warmen, gelben Ball am Himmel. Bald schon grünten um ihn herum Wiesen und Felder. Und der kleine Baum sah aus wie ein großer Schneeball, denn seine vielen weißen Blütenbüschel leuchteten weit ins Land. Die Bienen und andere Insekten kamen in Scharen und vergnügten sich auf Wiesen, Sträuchern und Bäumen. Die Natur hielt im Frühling ein wirklich reichhaltiges Angebot für die kleinen Tiere bereit. Die Pflanzen und Tiere lebten in den Tag hinein und machten sich keine Sorgen.
Doch eines Tages war es mit der beschaulichen Ruhe vorbei. Plötzlich hatte der kleine Baum das Gefühl, ein Albtraum wäre zurück gekehrt. Von fern sah er die schwarze Katze bedrohlich auf ihn zu gehen. Gelbschnabel und Federchen hatten also recht. Der Räuber war zurück und wollte nachsehen, ob sich wieder Vögel in dem Nest nieder gelassen hatten. Seine Enttäuschung war genau so groß wie die Empörung des kleinen Apfelbaumes.
“Du schon wieder!”, rief er überaus verärgert. “Bekommt man dich böses, gefräßiges Tier denn niemals los?”
“Also, das ist aber eine unfreundliche Begrüßung”, erwiderte die Katze. “Dass du mich als gefräßig bezeichnest, lasse ich mir ja noch gefallen. Aber böse bin ich nun wirklich nicht”, fügte das leise Tier etwas beleidigt hinzu und begann, sich seine Pfoten zu lecken.
“Na das ist doch allerhand!”, machte der kleine Apfelbaum seinem Ärger Luft. “Du kommst hier her, willst meine Amselfreunde und ihre wehrlosen Jungen fressen, zerkratzt mir meinen Stamm und erwartest jetzt auch noch, freundlich begrüßt zu werden? Das meinst du doch nicht im Ernst?” Die Katze ließ den Baum ausreden.
“Nun ja, zugegeben, aus deiner Sicht mag das alles sehr böse sein. Ich mache das aber nicht, weil ich böse bin, sondern weil ich Hunger habe. Ich will schließlich auch leben. Leider hat es die Natur so eingerichtet, dass ich andere Tiere fressen muss. Von Obst und Gemüse kann ich mich nicht ernähren. Andererseits hat auch das seinen Sinn. Ohne die Raubtiere würden manche andere Tiere zu viel werden und das Gleichgewicht in der Natur stören“, erklärte das Tier. „Oder würde es dir gefallen, wenn man dich kahl fräße? Auch wir helfen mit, dass der Kreislauf des Lebens erhalten bleibt und in geordneten Bahnen verläuft.”
Immer noch etwas ungehalten, würdigte der kleine Apfelbaum die Katze keines Blickes.
“Du könntest auch nach Hause gehen und dort dein Katzenfutter fressen”, gab er trotzig zurück. Der schwarze Räuber antwortete nicht. Fast war es dem kleinen Apfelbaum, als würde das Tier vor Kummer stöhnen. Er wagte einen Blick hinunter. Tatsächlich sah die Katze traurig aus.
“Du weißt gar nicht, wie sehr ich mir ein Zuhause wünschen würde”, miaute sie kläglich und sprach noch etwas leiser. “Aber ich habe schon lange keines mehr.”
Der Baum war überrascht.
“Katzen und Hunde haben doch alle ein Zuhause.”
“Leider nicht alle. Ich war noch nicht ganz erwachsen, da haben mich meine Herrschaften weit weg von Zuhause ausgesetzt. Sie hatten keinen Platz mehr für mich, wollten mich aber auch nicht töten. Und seit dieser Zeit muss
Weitere Kostenlose Bücher