Hafen der Träume: Roman (German Edition)
Grün des Sommers zeigten. Herbstlich gefärbt würden sie wunderbar aussehen.
Kinder spielten vor den Häusern oder fuhren mit ihren Rädern auf den abschüssigen Bürgersteigen. Sybill sah einen halbwüchsigen Jungen, der hingebungsvoll seinen alten Chevy compact polierte und dabei mit voller Lautstärke, aber immer einen halben Ton daneben, die Musik von seinem Walkman mitsang.
Ein langbeiniger Mischlingshund mit Schlappohren stürzte mit heiserem Bellen zum Zaun, als Sybill sich näherte. Er sprang hoch und legte seine riesigen Pfoten auf die oberste Reihe der Latten. Sybill ging weiter, aber das Herz klopfte ihr bis zum Hals.
Von Hunden verstand sie nicht viel.
Sie entdeckte Phillips Geländewagen auf dem von Schlaglöchern übersäten Parkplatz neben dem Werftgebäude. Ein in die Jahre gekommener Lieferwagen leistete ihm Gesellschaft. Sämtliche Türen und verschiedene Fenster der Halle standen weit offen. Von innen hörte man Sägegeräusche und den Southern Beat von John Foggerty.
Sybill holte tief Luft und aß den Rest der Waffel. Jetzt oder nie.
Sie betrat das Gebäude und war augenblicklich fasziniert. Der Innenraum war riesig, überall wirbelte Staub durch die Luft, und es war gleißend hell wie auf einer von Scheinwerfern angestrahlten Bühne. Die Quinns arbeiteten emsig. Ethan und Cam waren dabei, eine lange gebogene Planke an eine Rippenkonstruktion zu setzen, offenbar ein Schiffsrumpf. Phillip stand an einer riesigen,
gefährlich aussehenden Kreissäge und schob Holzbalken hindurch.
Seth war nirgends zu sehen.
Einen Augenblick lang überlegte Sybill, ob sie ungesehen wieder nach draußen verschwinden sollte. Wenn ihr Neffe nicht hier war, wäre es vernünftiger, den Besuch auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, zu dem sie ihn sicher antreffen würde.
Vielleicht verbrachte er den Tag bei Freunden. Ob Seth welche hatte? Oder er war zu Hause. Ob er das Haus der Quinns als sein Zuhause betrachtete?
Bevor sich Sybill entscheiden konnte, wurde die Säge abgeschaltet, und nur John Foggerty sang sentimental weiter von einem braunäugigen gut aussehenden Mann. Phillip trat zurück, schob die Sicherheitsbrille hoch und wandte sich um. Dann sah er Sybill.
Das Lächeln, mit dem er sie willkommen hieß, kam so prompt und ehrlich, dass sie ein heftig aufsteigendes Schuldgefühl niederkämpfen musste. »Ich störe«, sagte Sybill laut, um sich gegen die Musik zu behaupten.
»Gott sei Dank.« Phillip wischte sich die staubigen Hände an seinen Jeans und kam auf Sybill zu. »Ich musste mich heute den ganzen Tag mit der Gesellschaft dieser Kerle begnügen. Da ist Ihr Anblick eine deutliche Verbesserung.«
»Ich habe mich unter die Touristen gemischt.« Sybill hob die Einkaufstüte. »Und ich dachte, ich sollte auf Ihr Angebot zurückkommen, die Werft zu besichtigen.«
»Das hatte ich gehofft.«
»Wie Sie sehen, bin ich hier …« Absichtlich glitt ihr Blick zu dem Bootsrumpf. Das war sicherer, als nur eine Sekunde länger in diese goldbraunen Augen zu schauen. »Das wird ein Schiff?«
»Es ist nur der Rumpf. Oder der Anfang davon.« Phillip nahm Sybill an der Hand und zog sie mit sich. »Ein Sportfischerboot, wenn es fertig ist.«
»Und was versteht man darunter?«
»Eines dieser schicken Boote, in denen Männer aufs Meer hinausfahren, Schwertfische fangen und Bier trinken, um sich als starke Kerle zu fühlen.«
»Hallo, Sybill.« Cam warf ihr ein Lächeln zu. »Suchen Sie Arbeit?«
Sybill sah auf die scharfkantigen Werkzeuge und das sperrige Holz. »Wohl kaum.« Ihr Lächeln schloss Ethan mit ein, der hinter Cam stand. »Wie es aussieht, verstehen Sie drei genug von der Sache.«
»Ja, das tun wir.« Cam wies mit dem Daumen auf Ethan. »Wir halten Phillip auf Trab, damit er sich nicht langweilt.«
»Offenbar werde ich hier nicht geschätzt.«
Sybill lachte und ging um den halb fertigen Bootsrumpf. Die Grundform war deutlich zu erkennen, aber den weiteren Herstellungsprozess verstand sie nicht. »Ich nehme an, das Ding liegt verkehrt herum.«
»Gut beobachtet.« Als sie eine Braue hob, lächelte Phillip. »Wenn das Boot aufgeplankt ist, werden wir es umdrehen und mit dem Deck beginnen.«
»Sind Ihre Eltern auch Bootsbauer?«
»Nein, meine Mutter war Ärztin und mein Vater Professor am College. Aber wir sind mit Booten aufgewachsen.«
Sybill hörte die Zuneigung und die noch unbewältigte Trauer in seiner Stimme – und hasste sich selbst dafür. Sie hatte Phillip noch mehr über seine
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