Hafen der Träume: Roman (German Edition)
PROLOG
Phillip Quinn starb im Alter von dreizehn Jahren. Da das überarbeitete und unterbezahlte Personal in der Notfallaufnahme des Baltimore City Hospital ihn jedoch nach neunzig Sekunden ins Leben zurückholte, war er nicht lange tot.
Für Phillip dauerte der Zustand lange genug.
Was ihn – für kurze Zeit – tötete, waren zwei Geschosse vom Kaliber 25, durch das geöffnete Seitenfenster eines gestohlenen Toyota Celica abgefeuert aus irgendeinem billigen Gewehr. Abgedrückt hatte ein guter Freund, soweit ein dreizehnjähriger Dieb auf den heruntergekommenen Straßen von Baltimore überhaupt jemanden für seinen Freund halten kann.
Die Kugeln verfehlten sein Herz nur knapp. Aber zum Überleben hatte es gerade gereicht, dachte Phillip später.
Das junge kräftige Herz, das auf traurige Weise abgestumpft war, schlug noch und pumpte sein Blut über die benutzten Kondome und Crackampullen in der stinkenden Gosse an der Kreuzung zwischen Fayette und Paca Road.
Der Schmerz hatte sich wie Spitzen scharfer Eiskristalle in seine Brust gebohrt. Es war ein gemeiner Schmerz, der ihn hinderte, in die alles auslöschende Bewusstlosigkeit zu versinken. Phillip lag hellwach auf dem Straßenpflaster und hörte die Schreie anderer Opfer und unbeteiligter Zeugen, kreischende Bremsen, das Geräusch startender Motoren und sein eigenes abgerissenes Keuchen.
Gerade eben hatte Phillip ein paar Elektronikgeräte an einen Hehler verkauft, die Beute aus einem Einstieg
im dritten Stock, keine vier Blocks von hier. Mit den zweihundertfünfzig Dollar in der Tasche war er die Straße entlanggeschlendert, auf der Suche nach einem Dealer für ein Päckchen Heroin, das ihm die Nacht durchzustehen half. Phillip kam frisch aus dem Jugendgefängnis, wo er neunzig Tage Arrest abgesessen hatte, für einen anderen Einbruchdiebstahl, der mies gelaufen war. Deswegen brauchte er jetzt Bares.
Dann schien das Glück ihn verlassen zu haben.
Später würde er sich daran erinnern, dass er nur noch gedacht hatte: Scheiße, tut das weh, verdammt weh! Offenbar war er ins Schussfeld geraten. Die Kugeln hatten gar nicht ihm gegolten. In den wie in Zeitlupe ablaufenden drei Sekunden, bevor die Schüsse losgingen, hatte Phillip die Farben der Gang aufblitzen sehen. Es waren die Farben seiner eigenen Leute, einer der vielen Banden in der Stadt. Manchmal zog Phillip mit ihnen durch die Straßen und Gassen der City.
Wäre er nicht gerade aus dem Knast gekommen, hätte Phillip sich kaum an der besagten Straßenecke sehen lassen. Man hätte ihn gewarnt, er solle sich fern halten, und er läge jetzt nicht blutend am Boden, mit dem Gesicht auf dem schmutzigen Gitter eines Abflussschachts.
Lichtblitze zuckten, blau, rot und weiß. Grelles Sirenengeheul übertönte das Geschrei der Menschen. Polizei. Durch den klebrigen Nebel, in den ihn der Schmerz hüllte, spürte Phillip seinen Fluchtinstinkt erwachen. Im Geist sprang er auf, der behände und verschlagene Straßenjunge, und verschmolz mit den Schatten der Nacht. Doch bereits der Gedanke an diese Anstrengung trieb ihm kalten Schweiß ins Gesicht.
Phillip spürte eine Hand an seiner Schulter, und tastende Finger bewegten sich, bis sie den schwachen Puls an seiner Halsschlagader fanden.
Der hier atmet noch. Holen Sie die Sanitäter.
Jemand drehte ihn auf den Rücken. Phillip spürte einen
unsäglichen Schmerz. Er wollte schreien, aber der Schrei in seinem Kopf löste sich nicht, wurde nicht zum Geräusch. Verschwommen sah er Gesichter über sich. Der harte Blick eines Polizisten streifte ihn, und er sah die grimmig entschlossene Miene des Unfallretters. Phillips Augen brannten von dem roten, blauen und weißen Licht. Jemand weinte. Das Schluchzen klang hoch und klagend.
Halt durch, Kleiner .
Warum? wollte er fragen. Warum durchhalten? Es tat weh, am Leben zu sein. Er würde dem Elend nie entkommen, auch wenn er sich selbst das Versprechen gegeben hatte, es eines Tages zu schaffen. Was von ihm noch übrig war, floss als rote Lache in den Rinnstein. Und alles, was er vorher sein Leben genannt hatte, war hässlich und abstoßend gewesen. Geblieben war ihm nur der Schmerz.
Wozu also der verdammte Unsinn?
Für eine Weile schwanden Phillip die Sinne, und er sank unter die Schmerzgrenze, hinab in eine dunkle, schmutzig rote Welt. Von ferne drang Sirenengeheul zu ihm, er spürte Druck auf seiner Brust und die ruckartige Bewegung, als der Rettungswagen losraste.
Dann wurde es wieder hell. Grelles weißes
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