Halbmast
zurück, weil ich mich um meinen kleinen Neffen zu kümmern hatte. Back to Ostfriesland, und meine Freunde von der Schule waren in alle Himmelsrichtungen verteilt. Nicht leicht, wenn man schon überall gewesen ist.» Sie seufzte. «Zum Glück habe ich den Job bei Schmidt-Katter angeboten bekommen. Ich betreue die Auftraggeber der Werft, wenn sie zu Besichtigungsterminen hier sind. Ich organisiere alle Veranstaltungen, Seminare, Tagungen und so weiter. Somit bewege ich mich doch noch ein wenig in der weiten Welt.» Ebba lächelte versonnen.
Ich habe es kapiert, dachte Carolin, du gehörst hier eigentlich gar nicht hin und hättest wirklich was Besseres verdient. Schon klar, und jetzt lass mich bitte in Ruhe auspacken.
Das schwarze Kleid war unter die schwere Fotoausrüstung gerutscht und sah dementsprechend verknittert aus. Carolin nahm es heraus und legte es über die Stuhllehne.
«Ist Leif immer noch so rechthaberisch?», wollte Ebba John wissen. Sie hatte sich halb auf den Sekretär gesetzt und zupfte sich, mit Blick in den Spiegel hinter ihr, die Haarsträhnen zurecht. Glaubte sie wirklich, dass dies hier eine Plauderstunde unter neuen besten Freundinnen werden würde?
«Er ist ein ausgezeichneter Journalist», gab Carolin sich so einsilbig wie möglich.
Doch Ebba John schien das bereits auszureichen, um selbst wieder loslegen zu können: «Weil er so rechthaberisch ist, darum ist er so gut. Er will die Dinge in der Welt immer so drehen, dass sie in das Bild passen, was er sich bereits im Kopf zurechtgelegt hat. Und wenn sich herausstellt, dass etwas anders läuft, als Leif es dirigieren möchte, dannrecherchiert er so lange, bis die Wahrheit seinen Vorstellungen entspricht. Das hat er immer schon so gemacht, und keiner kommt gegen ihn an. Es würde mich nicht wundern, wenn die Sonne eines Tages um die Erde kreist, nur weil Leif Minnesang es sich so überlegt hat.»
Carolin hielt einen Moment inne. So treffend hatte noch nie jemand ihren Kollegen charakterisiert, das musste sie Ebba John lassen. Sie schaute die Frau von der Seite an. Kaum vorzustellen, dass Leif mit ihr zusammen gewesen sein sollte. Auch wenn es salopp überschlagen bereits ein Vierteljahrhundert her sein musste. Er war einen ganzen Kopf kleiner und nicht im Entferntesten auf diese augenscheinliche Art attraktiv wie Ebba John. Wenn sie tatsächlich mal ein Paar gewesen waren, dann eines von der Art, nach dem sich jeder auf der Straße umdrehte und überlegte, was sie wohl von ihm wollte.
«Ist er denn verheiratet?»
Carolin konnte sich einen verwunderten Gesichtsausdruck nicht verkneifen. «Er ist nur ein Kollege, ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Und wenn ich sie hätte, ach bitte, frag ihn doch selbst!»
Endlich erhob sich Ebba vom Schreibtisch. «Ich gehe dann mal», sagte sie wieder mit dieser Samtstimme, die nicht so recht zu ihrem blonden Auftreten passte. «Wir sehen uns beim Empfang.» Dann ging sie hinaus.
Carolin ließ sich genervt auf das Bett fallen. So ein Mist, dachte sie. Sie war hier, um einen wirklich tollen Job zu machen. Spektakuläre Schiffsüberführung auf einem engen Fluss von der ostfriesischen Binnenstadt Leer bis ins niederländische Eemshaven. Und dann noch für das
Objektiv
, eines der auflagenstärksten Magazine Deutschlands. Es gab entsprechendes Honorar. Dies war eine grandiose Kulisse, um phantastische Aufnahmen zu machen. Doch Carolinfühlte sich jetzt schon komplett ausgebremst. Ein Empfang mit Kanapees und Smalltalk, wozu sollte das schon gut sein? Sie sah sich im Geist bereits kauend zwischen dem palavernden Leif und dieser Ebba John. Dies alles passte Carolin überhaupt nicht ins Konzept.
Hoffentlich ergab sich bald die Gelegenheit, auf eigene Faust loszuziehen. Sonst würde sie bald entweder Leif oder Ebba an die Kehle springen.
«Doktor Perl ist noch nicht da. Seltsam, sonst ist er doch immer am pünktlichsten.» Ebba John blieb nur kurz im Vorbeigehen stehen. Sie war für den Empfang verantwortlich und huschte überraschend nervös zwischen den herumstehenden Menschen hindurch.
«Wer ist Doktor Perl?», flüsterte Carolin in das Ohr ihres Kollegen. Sie tat sich schwer mit all diesen Männern in dunklen Anzügen, die sich in der großen, hellen Kommandobrücke an Wichtigkeit übertrumpften. Zwei Lotsen aus Emden bestaunten die moderne Technik und ein Lokalpolitiker hielt Lobeshymnen auf seine eigenen Verdienste.
Einen Wolfgang Grees hatte Carolin bereits etwas näher kennen gelernt. Er
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