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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Lotsen und der Kapitän die millimetergenauen Ausmaße kennen, um nicht auf Grund zu laufen. Danach überquert die Ems ein Stück der A 31.   Carolin konnte sich diesen Moment nicht so recht vorstellen. Wie sollte unter dem Schiff eine Straße entlangführen? Wie Lkws und Pkws unter dem Kiel der
Poseidonna
trocken hindurchfahren? Darauf war sie ehrlich gespannt. Bis zum Dollartsperrwerk, von dem aus es nur noch wenige Kilometer bis zum offenen Meer sind, passiert das Kreuzfahrtschiff dann noch etlicheMühlen und ostfriesische Dörfer, einige Moorgebiete und abmontierte Brücken. Eine Schiffspassage dieser Art legte für einen Tag den Verkehr der ganzen Region lahm. Aber nicht nur wegen der unbefahrbaren Brücken, sondern in erster Linie wegen der Schaulustigen. Über hunderttausend wurden erwartet. Die Verkehrsnachrichten hatten schon heute, als Leif und sie im Auto Richtung Leer unterwegs gewesen waren, vor Staus und Behinderungen gewarnt. Alles nur, weil sich die
Poseidonna
auf den Weg machte. Das war ein merkwürdiger Gedanke.
    Morgen früh würde sie geboren werden, sie würde sich durch den engen, fünfzig Kilometer langen Geburtskanal zwängen, bis sie in die Nordsee gelangte und ihr Leben als Luxusliner begann. Carolin überlegte, ob sie Leif dieses Bild von der Schiffsgeburt vorschlagen sollte, als gemeinsames Arbeitsprinzip sozusagen. Hatte er nicht ständigen Austausch untereinander gewünscht? Sie schaute sich um. Er hatte den Platz neben der Tür ebenfalls verlassen und unterhielt sich mit der schlanken Frau, deren Hintern noch immer vom reichen Zigarrenmann berührt wurde. Leif hatte den Mini-Disc-Recorder wieder im Anschlag. Vielleicht war das Interview mit der Dame so etwas wie eine Annäherung an den millionenschweren Reeder Sinclair Bess, der für die Reportage ausdrücklich nicht zur Verfügung stand. Carolin knipste die Szene, auch wenn sie dieses Foto nicht an das Magazin weitergeben würde. Vielleicht ein Andenken für Leif, der dieser schönen Frau allzu gern Fragen zu stellen schien. Dann wandte sie sich wieder der Aussicht zu.
    Fast nichts mehr zu erkennen da draußen. Ein Fensterputzer in einem hellgrauen Overall schob sich an der Außenseite des mannshohen Fensters entlang vor ihre Linse und grinste entschuldigend. Er war schon älter und sah südländisch aus. Also auch bei einem so deutschen Generationsunternehmenwie der Schmidt-Katter-Werft machten die anderen die Drecksarbeit, es war doch überall dasselbe. Carolin dachte an die asiatische Putzfrau, die das Treppengeländer poliert hatte. Das Schiff wurde startklar gemacht, poliert und gewienert, und die Chefs ließen es sich gut gehen.
    «Wir können den Doktor nicht finden. Vielleicht ein Notfall, keine Ahnung, auf jeden Fall schlage ich vor, den kleinen Imbiss ohne Doktor Perl zu eröffnen.»
    Ludger Schmidt-Katter stand in der Tür. Er war kein imposanter Mann, keine autoritäre Erscheinung. Eher klein und schmächtig, mit dünnem, leicht gelocktem rötlichem Haar und Oberlippenbart. Er sah nicht aus wie der direkte Nachkomme einer unbestechlichen Arbeiterdynastie, eher wie der Beamte eines Fundbüros. Doch seine Worte waren im Raum willkommen, man lächelte und hörte «Ahs» und «Ohs» und kurz danach das erste Klingen von Porzellan und Besteck.
    Der Vorstandsvorsitzende gesellte sich kurz zu einer hübschen, aber unscheinbaren Frau in hellblauem Kleid, dann nickte er Leif und Carolin zu und rief: «Schön, dass Sie da sind. Ich komme gleich noch zu Ihnen.» Doch vorher biss er in etwas, das wie eine Hühnerkeule aussah.
    «Ein sympathischer Chef, dieser Schmidt-Katter», entschied Carolin laut. Leif, der neben sie ans Fenster getreten war, sprach noch immer leise auf sein Diktiergerät ein. «Ich habe Hunger. Kommst du mit?»
    Leif war kein Vegetarier. Irgendwie passte das nicht zu ihm. Dass er nun am verlockenden Buffet Entenbrust und Krabbencocktail auf den Teller häufte, statt mit Blattsalat, Vollkornbrot und Käse vorlieb zu nehmen, wirkte regelwidrig. Eigentlich war er doch kein Mensch, der es sich gut gehen lassen konnte. Dazu schien er zu verbissen.
    «Ich hoffe, dass es Ihnen schmeckt. Es ist das erste Essen, abgesehen von den Pausenstullen unserer Arbeiter, welches hier auf der
Poseidonna
serviert wird.» Schmidt-Katter stellte seinen leeren Teller neben das Buffet, griff nach drei Gläsern Champagner und stellte sich zwischen Carolin und Leif, die beide gerade den Mund voll hatten, kauten und kein Wort erwidern

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