Haltlos
gemeistert. Wir haben damals etliche Wochen gemeinsam in Klausur zugebracht. Viele Drachen, da bin ich mir ganz sicher, würden diese Magie nie lernen, egal wie alt sie werden. Aber Abrexar ist wirklich begabt, ein wahrer Meister der Geistesmagie und gibt vor allem nie auf. Was das angeht, bist du ihm ziemlich ähnlich.“
Sie lächelte geschmeichelt. „Vielen Dank für das Kompliment.“
„Ach“ , murmelte der alte Drache, „du brauchst dein Licht auch nicht unter den Scheffel zu stellen. Ich bin mir sicher, dass aus dir eines Tages eine große Magierin wird.“
Sie grinste schief und fügte missmutig hinzu: „Wenn ich denn die nächsten Tage überstehe… Trotz aller Anstrengungen haben wir hier ja noch nicht mal unsere Verbindung hinbekommen!“
Hoggi winkte ab. „Das wird schon. Da bin ich mir ganz sicher. Ihr zweit geht sehr stark aufeinander ein und kümmert euch gut umeinander.“
Dann runzelte er die Stirn und murmelte dumpf mehr zu sich selbst in seinen Bart: „Manchmal denke ich nur, dass sie ein wenig mehr an sich denken sollten… eben an das, was ihnen selbst gut tut und nicht nur dem anderen.“
Dann schwiegen sie beide.
Die weiße Himmelsechse und Victoria saßen gemeinsam am Ufer und blickten auf die glatte Seeoberfläche. Die Studentin hatte fast das Gefühl, sie säße mit J hier. Auch Hoggi musste nicht ständig reden. Mit ihm konnte man einfach so dasitzen und seinen Gedanken nachhängen.
„Das tut wirklich gut! Einfach mal nur «da sein» und sonst nichts…“
Victoria versank im Anblick der blauen Spiegelfläche vor ihr. Sie sah die Wolken, die Sonne, die immer mal wieder hervor lugte und zu ihrer großen Freude auch den Mond. Lächelnd dachte sie an einen ihrer ersten Abende mit Jaromir, als er ihr das Turmzimmer gezeigt hatte. Der Blick auf die Förde war in der Nacht wirklich spektakulär! Vor ihrem geistigen Auge sah sie das Bild vom schwarz glitzernden Wasser, in dem sich der Vollmond spiegelte. Ein tiefes Gefühl von Gelassenheit und Frieden stieg in ihr auf. Sie atmete bewusst durch und ließ diese besondere Stimmung in jeden Winkel ihres Geistes fließen.
Hoggis letzten Worte hallten noch sanft in ihr nach. Und dann wusste sie es plötzlich.
Sie hatte den Schlüssel gefunden.
Es war, als wäre sie zuvor blind gewesen und könnte nun auf einen Schlag sehen.
„Das ist so logisch!“ , dachte sie und konnte es noch gar nicht richtig fassen. Dann wurde sie ganz kribbelig und aufgeregt.
Hoggi sah sie verwundert von der Seite an, sagte aber nichts.
Victoria atmete noch einmal tief ein und konzentrierte sich. Sie nahm das Bild vom Vollmond, der sich groß und blass in der nachtschwarzen Förde spiegelte und sein silbernes Licht in die sacht tanzenden Wellen ergoss. Dazu ließ sie in sich ein Gefühl von Frieden und entspannter Gelassenheit aufsteigen und setzte beides behutsam, aber entschieden in Jaromirs Geist.
Sie hielt dem Atem an.
Jaromirs Gespräch mit Abrexar brach abrupt ab.
Die Welt schrumpfte.
Sie schrumpfte rasant und unaufhörlich, bis nur noch Jaromir und sie selbst darin Platz hatten. Ihr Gefährte spürte jetzt exakt dasselbe wie sie.
Victoria und Jaromir hörten auf, als Individuum zu existieren.
Ein Teil von Victorias Selbst verschmolz untrennbar mit dem von Jaromir. Sie wusste, dass sie von jetzt an nie wieder allein sein würde. Es war ein wunderbares Gefühl, so als würde sie nach einer sehr langen Reise endlich nach Hause kommen. Hier gehörte sie her!
Heißes Glück durchfloss jede ihrer Adern und scheuchte die Schmetterlinge aus ihrem Dornröschenschlaf hoch. Sie lächelte – nein sie lachte laut und strahlte übers ganze Gesicht. Obwohl sie beide gar nicht nebeneinander standen, fühlte sie sich von ihm zärtlich umarmt und unendlich geliebt.
Dann weitete sich ihre Welt wieder.
Erst ganz langsam und behutsam, dann immer schneller.
Victoria war von ihrem Felsen aufgestanden und rannte lachend in Richtung des Lagers. Jaromir war ebenfalls aufgesprungen und lief ihr seinerseits entgegen.
Als sie sich in der Mitte des kurzen Weges trafen, fassten sie einander an die Hände und lächelten sich an. Victorias Schmetterlinge veranstalteten einen Riesenaufstand, so dass es in ihrem Bauch unglaublich kribbelte. Sie sahen einander in die Augen und umarmten sich.
Wie von selbst fanden sich ihre Lippen und sie versanken in einem endlosen Kuss. Beide wussten, dass Jaromir sich von nun an nur noch verwandeln würde, wenn er es selbst
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