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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Nachtstunden vorüber waren und Fremde Muschel wieder in seinem Tipi erschien. Das Murmeln der Großmutter hörte endlich auf.
    Auch Harka schlief jetzt ein. Im Einschlafen hörte er draußen noch den Wind und Regen, der gegen die Zeltplanen trommelte.
    Als er wieder erwachte, war es noch dunkel. Er sprang auf und warf die Decke ab, denn ihm war bewußt, wenn auch nur halb und wie im Traum, daß er nicht etwa ausgeschlafen hatte, sondern geweckt worden war. Wovon? Hatte nicht jemand geschrien?
    Ja – jetzt wiederholte sich der Schrei, und alle anderen Zeltbewohner fuhren ebenfalls aus den Decken. Draußen stürmte und regnete es noch immer.
    Fremde Muschel eilte hinaus, und die drei Jungen waren sofort hinter ihm her. Der Regen pladderte über die nackten Körper herab. Es war wenig zu sehen, da die Wolken den Mond und die Sterne verdeckten. Aber erneute Schreie waren zu hören: »Der Bär! Der Bär!«
    Vom Häuptlingszelt her ertönte ein lauter Ruf: »Alle Kinder zurück in die Zelte!«
    Ungern, aber doch einsichtig genug, um den Grund für diese Anordnung zu verstehen, gehorchten Kraushaar, Harpstennah und Harka. Aber sie blieben am Ausgangsschlitz des Zeltes stehen, um nach draußen zu horchen.
    Aus den Geräuschen und Rufen, die sie vernahmen, ging hervor, daß das Raubtier bei der Pferdeherde gesucht wurde.
    Im Rücken der Kinder, hinten im Zelt, wurde ein mehrstimmiges Gemurmel laut: »Der Bär, der Bärengeist. Es kommt der Geist des Bären, um sich zu rächen!«
    Harka wandte sich unwillkürlich um. Er erblickte eine der drei Töchter, die das Feuer in der Zeltmitte anschürte, so daß die Flammen wieder hochschlugen. Daneben stand die Großmutter. Sie hatte sich die von Kugel, Pfeilen und Speer durchlöcherte Leinwand mit dem Bärenbild angeeignet und hielt sie jetzt in die Höhe, so daß das zerrissene Bild von dem huschenden Feuerschein beleuchtet wurde. Das Gesicht der Alten war von Schrecken und Triumph erfüllt und verzerrt. Durch das Halbdunkel erklang wieder das Schreckensgemurmel der übrigen vier Frauen. Der Sturm rüttelte am Zelt. Durch den Zeltschlitz, an dem die Jungen standen, fuhr eine Bö herein, ließ das Feuer flackern und bewegte die Leinwand, so daß es schien, als ob das Bärenbild sich bewege. Draußen erklangen die Schreie der Männer. Dreimal knallte das Mazzawaken.
    Alles zusammen machte auf die Zeltinsassen einen gespenstischen Eindruck. Kraushaar begann Worte in seiner für Harka unbekannten heimatlichen Sprache aufzusagen und machte dabei beschwörende Gesten.
    Auch Harka wurde einen Augenblick beeindruckt. Er riß sich zusammen.
    »Schweig!« herrschte er Kraushaar an und hielt ihm die Hand vor den Mund. Aber Schwarzhaut Kraushaar schlug Harkas Hand weg und fuhrt fort, seine Abwehrformeln gegen bösen Zauber herzusagen.
    Da verließ Harka das unruhige und unheimlich gewordene Zelt und trat in den Regen hinaus. Jetzt endlich konnte er wieder horchen, nur vom Klatschen des Regens und vom Pfeifen des Windes gestört, aber nicht mehr von den Menschen behindert.
    Er entnahm den Rufen, daß das Raubtier bei der Pferde- herde gesehen worden war, aber jetzt verschwunden zu sein schien. Harka wäre am liebsten hingelaufen, um sich der Tiere anzunehmen, aber er wagte es doch nicht, dem ausdrücklichen Befehl des stellvertretenden Häuptlings entgegenzuhandeln. Es kam ihm jedoch der Gedanke, daß er in das väterliche Zelt hinüberspringen könne. Das tat er auch; schnell flitzte er in das heimische Tipi.
    Auch dort war das Feuer wieder angeschürt. Die Wind- klappe an der Zeltspitze sicherte den Rauchabzug bei Sturm. Schonka war nicht da. Er hatte um diese Stunde die Pferdewache. Untschida, Scheschoka und Uinonah saßen im Hintergrund beieinander. Untschidas unerschütterliche Ruhe strahlte auf alle aus.
    Als Harka hereingeschlüpft war, öffnete sich der Zeltschlitz gleich darauf noch einmal, und Weitfliegender Vogel Gelbbart kam zurück. Er hatte die Flinte in der Hand, holte sich Munition und eilte wieder hinaus. Die Zeltinsassen hörten mehrere Schüsse knallen.
    Aus der Richtung der Pferdeherde erklang ein vielstimmiges Zorngeschrei. Bald darauf erschien Weitfliegender Vogel wieder im Tipi. Er ließ sich am Feuer nieder, putzte die Flinte und fand dabei einen aufmerksamen Zuschauer an Harka.
    Draußen ebbte der Lärm ab.
    Der Maler ermunterte Harka mit einer Kopfbewegung, näher zu treten. Da er sich in Ermangelung eines Dolmetschers im Augenblick nicht mit ihm unterhalten und ihm

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