Harry Potter - Gesamtausgabe
»Es ist wirklich wahr, oder? Es ist kein Scherz? Petunia sagt, dass du mich anlügst. Petunia sagt, dass es gar kein Hogwarts gibt. Es ist wirklich wahr, oder?«
»Es ist wahr für uns«, sagte Snape. »Für sie nicht. Aber wir werden den Brief bekommen, du und ich.«
»Wirklich?«, flüsterte Lily.
»Ganz bestimmt«, sagte Snape, und selbst mit seinen schlecht geschnittenen Haaren und seinen komischen Kleidern gab er eine merkwürdig eindrucksvolle Figur ab, wie er da vor ihr hingelümmelt saß, strotzend vor Zuversicht, was seinen künftigen Lebensweg betraf.
»Und bringt ihn wirklich eine Eule?«, flüsterte Lily.
»Normalerweise schon«, sagte Snape. »Aber du stammst von Muggeln ab, da muss jemand von der Schule kommen und es deinen Eltern erklären.«
»Macht es einen Unterschied, wenn man von Muggeln abstammt?«
Snape zögerte. Seine schwarzen Augen blickten ungeduldig durch das grünliche Dämmerlicht, wanderten über das blasse Gesicht, das dunkelrote Haar.
»Nein«, sagte er. »Es macht keinen Unterschied.«
»Gut«, sagte Lily erleichtert: Es war offensichtlich, dass sie sich Sorgen gemacht hatte.
»Du hast ganz viel Magie«, sagte Snape. »Das habe ich gesehen. Die ganze Zeit, als ich dich beobachtet habe …«
Seine Stimme verlor sich; sie hörte ihm nicht zu, sondern hatte sich auf dem laubbedeckten Boden ausgestreckt und blickte hoch zu dem Blätterdach über ihr. Er sah sie an, so begierig wie schon auf dem Spielplatz.
»Wie steht es bei dir zu Hause?«, fragte Lily.
Eine kleine Falte bildete sich zwischen seinen Augen.
»Gut«, sagte er.
»Sie streiten nicht mehr?«
»O doch, sie streiten«, sagte Snape. Er hob eine Faust voll Blätter auf und begann sie zu zerreißen, offenbar ganz in Gedanken verloren. »Aber es wird nicht mehr allzu lange dauern, dann bin ich weg.«
»Mag dein Dad denn keine Zauberei?«
»Er mag nichts besonders gern«, sagte Snape.
»Severus?«
Ein leises Lächeln zuckte um Snapes Mund, als sie seinen Namen sagte.
»Jaah?«
»Erzähl mir noch mal von den Dementoren.«
»Weshalb willst du was über die wissen?«
»Wenn ich außerhalb der Schule Zauber benutze …«
»Dafür jagen sie dir keine Dementoren auf den Hals! Dementoren sind für Leute, die richtig böse Sachen machen. Sie bewachen das Zauberergefängnis, Askaban. Du wirst nicht in Askaban landen, du bist zu …«
Er lief wieder rot an und zerfetzte noch mehr Blätter. Dann hörte Harry ein leises Rascheln hinter sich und er drehte sich um: Petunia, die sich hinter einem Baum versteckt hatte, hatte den Halt verloren.
»Tunia!«, sagte Lily in überraschtem und freundlichem Ton, aber Snape war aufgesprungen.
»Wer spioniert da jetzt?«, rief er. »Was willst du?«
Petunia war außer Atem, bestürzt, weil sie erwischt worden war. Harry sah, dass sie angestrengt nach etwas Verletzendem suchte, das sie sagen konnte.
»Was hast du da eigentlich an?«, sagte sie und deutete auf Snapes Brust. »Die Bluse von deiner Mum?«
Es gab einen Knall: Ein Ast über Petunias Kopf fiel herunter. Lily schrie: Der Ast traf Petunia an der Schulter, und sie stolperte rückwärts und brach in Tränen aus.
»Tunia!«
Aber Petunia rannte davon. Lily fiel über Snape her.
»Hast du das passieren lassen?«
»Nein.« Er blickte trotzig und erschrocken zugleich.
»Doch, das hast du!« Sie wich vor ihm zurück. »Das hast du. Du hast ihr wehgetan!«
»Nein – nein, hab ich nicht!«
Aber die Lüge überzeugte Lily nicht: Nach einem letzten flammenden Blick rannte sie aus dem kleinen Dickicht, ihrer Schwester hinterher, und Snape wirkte elend und durcheinander …
Und dann veränderte sich die Szene. Harry blickte sich um: Er war auf Bahnsteig neundreiviertel, und Snape stand dicht bei ihm, leicht gebeugt, neben einer hageren, blässlichen, mürrisch dreinblickenden Frau, die ihm stark ähnelte. Snape starrte auf eine vierköpfige Familie nur wenig entfernt. Die beiden Mädchen standen etwas abseits von ihren Eltern. Lily schien ihre Schwester anzuflehen; Harry näherte sich, um zu lauschen.
»… es tut mir leid, Tunia, es tut mir leid! Hör zu –« Sie ergriff die Hand ihrer Schwester und hielt sie fest, obwohl Petunia sie wegzuziehen versuchte. »Vielleicht kann ich, wenn ich erst mal da bin – nein, hör zu, Tunia! Vielleicht kann ich, wenn ich da bin, zu Professor Dumbledore gehen und ihn überreden, dass er es sich anders überlegt!«
»Ich will – nicht – dahin!«, sagte Petunia und zog ihre Hand aus
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