Harry Potter und die Kammer des Schreckens
einen Gefallen getan …«
Doch Harry schloss aus der unbewegten Miene Hermines, dass sie das Gleiche dachte wie er.
»Was ist?«, sagte Ron und sah die beiden abwechselnd an.
»Nun, die Kammer des Schreckens wurde vor fünfzig Jahren geöffnet, oder?«, sagte Harry. »Das hat Malfoy gesagt.«
»Jaa …«, sagte Ron langsam.
»Und dieser Kalender ist fünfzig Jahre alt«, sagte Hermine, aufgeregt mit den Fingern darauf trommelnd.
»Na und?«
»Ach Ron, wach auf«, herrschte ihn Hermine an. »Wir wissen, dass die Person, die die Kammer das letzte Mal geöffnet hat, vor fünfzig Jahren von der Schule verwiesen wurde. Wir wissen, dass T. V. Riddle seine Auszeichnung für besondere Verdienste um die Schule vor fünfzig Jahren bekommen hat. Nun, was wäre, wenn Riddle seine besondere Auszeichnung bekam, weil er den Erben von Slytherin gefangen hat? Sein Kalender, als eine Art Tagebuch benutzt, würde uns wahrscheinlich alles sagen – wo die Kammer ist und wie man sie öffnet und was für eine Kreatur darin lebt –, die Person, die diesmal hinter den Angriffen steckt, würde so ein Buch lieber nicht hier rumliegen sehen, oder?«
»Das ist eine geniale Theorie, Hermine«, sagte Ron, »mit nur einem kleinen Fehler. In dem Buch steht nichts.«
Doch Hermine zog den Zauberstab aus der Tasche.
»Vielleicht ist es unsichtbare Tinte!«, flüsterte sie.
Sie tippte dreimal sanft gegen den Kalender und sagte: »Aparecium!«
Nichts geschah. Unverzagt griff Hermine erneut in ihre Tasche und zog einen leuchtend roten Radiergummi hervor.
»Das ist ein Enthüller, hab ich in der Winkelgasse gekauft«, sagte sie.
Sie rubbelte kräftig über »Erster Januar«. Nichts geschah.
»Ich sag euch doch, dadrin ist nichts«, sagte Ron. »Riddle hat eben einen Kalender zu Weihnachten bekommen und hatte einfach keine Lust, darin zu schreiben.«
Harry konnte nicht erklären, auch nicht sich selbst, warum er Riddles Buch nicht einfach wegwarf. Nicht nur das. Obwohl er wusste, dass der Taschenkalender leer war, nahm er ihn ständig gedankenverloren in die Hand und durchblätterte ihn, als ob er eine Geschichte enthielte, die er zu Ende lesen wollte. Und obwohl sich Harry sicher war, dass er den Namen T. V. Riddle nie vorher gehört hatte, schien er dennoch etwas für ihn zu bedeuten, fast als ob Riddle ein Freund gewesen wäre, als er noch sehr klein war, ein Freund, den er fast vergessen hatte. Doch das war Unsinn. Bevor er nach Hogwarts kam, hatte er keine Freunde gehabt, dafür hatte Dudley schon gesorgt.
Dennoch war Harry entschlossen, mehr über Riddle herauszufinden, und so machte er sich tags darauf in der großen Pause auf den Weg ins Pokalzimmer, um sich Riddles besondere Auszeichnung anzusehen. Eine neugierige Hermine begleitete ihn nebst einem zutiefst ungläubigen Ron, der zudem verkündete, er habe von Pokalzimmern für sein Leben lang die Nase voll.
Riddles blank polierte Goldmedaille war in einem Eckschrank verstaut. Warum er sie bekommen hatte, stand nicht darauf (»Besser ist’s, denn sonst wäre sie noch größer gewesen und ich würd sie immer noch polieren«, sagte Ron). Allerdings fanden sie Riddles Namen darüber hinaus noch auf einer alten Medaille für Magische Meriten und auf einer Liste ehemaliger Schulsprecher.
»Klingt wie Percy«, sagte Ron und kräuselte angewidert die Nase. »Vertrauensschüler, Schulsprecher … wahrscheinlich immer Klassenbester –«
»Du hörst dich an, als ob das was Schlechtes wäre«, sagte Hermine in leicht beleidigtem Ton.
Die Sonne warf inzwischen wieder die ersten schwachen Strahlen auf Hogwarts. Im Schloss war die Stimmung hoffnungsvoller geworden. Seit den Angriffen auf Justin und den Fast Kopflosen Nick war nichts mehr passiert, und Madam Pomfrey konnte erfreut berichten, dass die Alraunen launisch und geheimnistuerisch wurden, was hieß, dass sie die Kindheit nun rasch hinter sich ließen.
»Sobald ihre Akne zurückgeht, kann man sie wieder eintopfen«, hörte Harry sie eines Nachmittags mit freundlicher Stimme Filch erklären. »Und danach dauert es nicht mehr lange, bis wir sie zerschneiden und schmoren. Ihre Mrs Norris haben Sie dann im Nu zurück.«
Vielleicht hat der Erbe von Slytherin die Nerven verloren, dachte Harry. Wenn die Schule so wachsam und misstrauisch war, musste es immer riskanter werden, die Kammer des Schreckens zu öffnen. Vielleicht ließ sich das Monster, was immer es war, gerade jetzt nieder, um weitere fünfzig Jahre Winterschlaf zu halten
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