Harte Schule
hat die tollsten Dinge angedeutet.«
»Ich muss zur PK!«
»Das Fernsehen ist dabei und der Rundfunk, wir können sie hier verfolgen. Gute Arbeit … Ich nehme an, der Mord an diesem Deutschlehrer …«
»Ach Gott, ja, der … der ist irgendwie unter die Räder gekommen, ein Opfer seiner Sucht, das Vertrauen seiner Schüler zu erlangen und sich überall einzumischen. Eine seiner Schülerinnen war die Tochter eines jetzt festgenommenen Staatsanwalts. Aber ich muss …«
Vor allem musste ich aufs Klo. Der Kaffee drängelte. Ich strullte, während nebenan eine tröpfelte. Am Waschbecken stellte sich heraus, es war Isolde. Sie sah etwas blass aus, ruhebedürftig oder erschreckt über die Härte des Lebens im Besonderen und Allgemeinen. Sie hatte sich von Kurt Holzer getrennt. Man merkte einem im Bett ja nicht an, dass er tagsüber mit Kinderpornos Wohnung, Oldtimer, Freundin und Schießsport finanzierte.
»Wem kann ich denn jetzt noch in die Augen schauen?«
»Mir«, sagte ich.
Das blaue Gift hinter den von Titan gehaltenen Plas tikgläsern nässte etwas.
»Und jetzt komm mit, wir gehen Bollach abschießen.«
Ich war nicht Mitglied der Landespressekonferenz, aber der Sicherheitsdienst des Landtags verlangte nicht einmal einen Presseausweis. Der Saal war gestopft voll. Sie standen rundherum an den Wänden, immer in Gefahr, von einer schwenkenden Kamera umgemäht zu werden. Ich zog Isolde Entschuldigung für Entschuldigung an den Leuten vorbei und über Übertragungskabel ums Viereck, bis wir vorne seitlich des Rednertisches bei der Kamera von RTL den direkten Blick gewannen. Un terhalb des Tisches hockten die Rundfunkleute und Tontechniker und verteidigten ihre Mikrofone, vor der ersten Stuhlreihe knieten die Fotografen mit Teleobjekti ven.
Doch als Bollach, begleitet vom Pressesprecher und einem Sicherheitsmann, aber ohne den Ministerpräsiden ten eintrat, orakelten erfahrene Journalisten sofort, dass er heute noch nicht zurücktreten werde. Bollach hing das Gesicht auf dem Kehlkopf. Ohne den Blick zu fokussieren, gab er eine Ehrenworterklärung ab.
Ich stippte Isolde an und soufflierte ihr die Frage: »Herr Minister …«
Bollachs wässrige Augen bewegten sich langsam zu uns herüber und verengten sich, als er mich erkannte.
»Herr Minister«, sagte Isolde mit ihrer klugen und wohlerzogenen Stimme, »dem Stuttgarter Anzeiger liegen gesicherte Informationen vor, dass Sie sich gestern Abend am Pragfriedhof von zwei Polizisten eine Journalistin in Handschellen haben vorführen lassen und sie dann geschlagen haben. Inzwischen …«
»Absoluter Quatsch!«, schnauzte Bollach. »Wann stopft endlich einmal jemand der Presse das Maul. Das ist doch kein Journalismus mehr, das ist Verunglimpfung der Staatsorgane. Sie gehören doch alle …«
Der Pressesprecher stoppte den Minister mit einer alles andere als dezenten Handbewegung. Er packte ihn regelrecht an der Schulter und fraß dabei fast das Saalmikrofon, um zu erklären, dass weitere Fragen nicht beantwortet würden.
Ich stupste Isolde erneut.
»Inzwischen«, sagte sie, ihre Stimme in glasklare Höhen treibend, die über alle Tumulte hinwegschwebte, »sind diese beiden Polizisten verhaftet worden, und zwar weil sie mehrere Leute umgebracht oder versucht haben sollen, sie zu töten, darunter den ermittelnden Staatsanwalt und Ihren Schwager, Herr Minister, der bei einer Gasexplosion sein Leben verlor. Wussten Sie das? Wussten Sie das auch, als Sie sich von diesen beiden Polizisten die Journalistin vorführen ließen? Nämlich die hier, die neben mir steht. Sehen Sie her, schauen Sie sich die Verletzungen an, die sie hat. Sie haben sie ins Gesicht geschlagen. Wussten Sie, dass diese beiden Polizisten auch sie ermorden sollten? Erhängen wollten sie sie. Verprügelt haben sie sie. Haben Sie das angeordnet?!«
»Lüge!« Bollach sprang auf, keuchte.
Ich hielt meine von den Handschellen blau und rot gequetschten Handgelenke zwischen Bollach und die Kameras. Der Pressesprecher zerrte am Ärmel des Ministers, doch Bollach stand wie ein Stier vor dem Todesstoß.
Hingerissen beobachtete ich, wie sich in Isolde eine urgewaltige Leidenschaft Bahn brach und mit ihrer Begabung zur moralischen Entrüstung paarte. Das würde doch mal eine gute Journalistin werden, jetzt, da sie sich nicht mehr für die Öffentlichkeitslügen eines Medienkonzerns wie TVCinema verkaufen musste.
»Haben Sie das angeordnet«, legte sie nach, »weil Sie eine Zeugin beseitigen wollten, genauso
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