Harte Schule
alles einzeln aus der Nase ziehen.«
Richard verfolgte das Gedrösel des Honigfadens, den ich auf das Knäckebrot trielen ließ. »Weininger hat getan, was er konnte«, sagte er steif. »Die Schutzpolizei am Hauptbahnhof wusste, in welche Bahn ihr umgestiegen seid. Ich erwischte Isolde in der Redaktion und erfuhr, wo ihr hinwolltet. Ich fuhr den Pragfriedhof von der Heilbronner Straße aus an. Weininger hat sich mit drei Leuten auf der anderen Seite postiert. Wegen der Schran ke musste ich zu Fuß durch den ganzen Friedhof. Als ich bei Weininger ankam, war der Streifenwagen mit dir und Juncker und Zabel gerade durch und in Richtung Güterbahnhof abgebogen, gefolgt von vier Jugendlichen zu Fuß. Es dauerte leider ein paar Minuten, bis Weininger einen Sonderkanal hatte und im FLZ – dem Führungs- und Lagezentrum – nachfragen konnte, ob sie etwas von einem Einsatz am Pragfriedhof wussten. Der betreffende Streifenwagen war als momentan nicht im Einsatz gemeldet. Damit war klar, dass die irgendein Ding drehten. Wir entschlossen uns sofort zum Eingreifen. Aber da kam uns auch schon Bollachs Wagen entgegen und gleich darauf der Streifenwagen. Im ehemaligen Güterbahnhof stießen wir auf die vier Jugendlichen, die uns etwas von Zombies erzählten und dass die Bullen dich erschießen wollten.«
Ich hob das Knäckebrot. Richards Augen klebten daran.
»Und daraufhin habt ihr mich erneut verloren.« Das Knäckebrot krachte in meinem Schädel. Langsam stellte sich Sättigung ein.
»Du bist gut«, sagte Richard mit einem Aufkeimen seiner ureigenen Selbstgefälligkeit. »Was kann man schon mit vier Polizisten ausrichten, die man durch die ganze Stadt schicken muss und die nicht so genau wissen, worum es geht? Wir haben dreimal das Band gewechselt, weil wir davon ausgehen mussten, dass Zabel und Juncker den Funk mithörten. Das führte gelegentlich zu Kommunikationslücken.«
Ich schob den Teller von mir. Richards Blick verlor sich in Krümeln. »Und dann?«
»Wir ließen Zabel und Juncker übers FLZ anfunken, aber sie meldeten sich nicht. Ich plädierte für eine Fahndung. Weininger fuhr hinauf in die Hahnemannstraße, sah dort den Streifenwagen stehen und rief mich an. Ich raste dorthin. Wir stürmten den Keller.«
Er räumte den Tisch ab. Ich zündete mir eine Zigarette an. Er stellte die Marmeladen in den Kühlschrank und versorgte das Geschirr in der Spülmaschine.
»Und wie geht es nun weiter?«, fragte ich.
Er trocknete sich die Hände am Geschirrtuch. »Beckstein hat ein erstes Geständnis abgelegt. Sie ist praktisch sofort zusammengebrochen.«
»Sie sehnt sich nach Ruhe und Frieden, nach Hilfe.«
»Wonach Frau Beckstein sich sehnt, ist mir, offen gesagt, scheißegal. Sie hat schon vor Jahren im Dezernat Jugenddelinquenz damit angefangen, Jugendliche unter Druck zu setzen, vor allem Jungs, die sie für schwul hielt, strafunmündige Ladendiebe wie Jöran Fischer zum Beispiel, die sie … nun ja, übers Knie legte und vor die Wahl stellte, in den Knast zu wandern und dort gefickt zu werden oder sich auf ihr Spielchen einzulassen. Jöran schlug sie vor, sich die Kohle, die er brauchte, im Club zu verdienen. Zabel und Juncker waren praktisch von Anfang an dabei. Ihnen fiel Selim Ögalan bei einer Strei fe in den Schrebergärten von Münster in die Hände. Sie vergingen sich an ihm und erwürgten ihn dabei. Dass sie ihn in dem Loch vergruben, das Marquardt damals für die Schlehenbüsche ausgehoben hatte, war reiner Zufall. Am Wochenende drauf pflanzte Marquardt nichts ahnend die Büsche.« Richard schüttelte sich vor Abscheu. »Beckstein nutzte ihren vielleicht primitiven, aber ausgeprägten Sinn für psychologische Schwachstellen, um Kollegen unter Druck zu setzen und auf ihre Seite zu bannen. Es ist unglaublich. Im Kinderschänderprozess von Stammheim gelang es ihr, einen der beiden Polizeipsychologen – nicht Weißenfels, den anderen – davon zu überzeugen, dass die Kinder phantasierten. Sie misshandelte wenigstens eines der Kinder erneut und erzwang den Widerruf der belastenden Aussage gegen die Angeklagten. Dann konfrontierte sie den Psychologen damit, dass das Kind ihn beschuldigte, es zu sexuellen Handlungen aufgefordert zu haben. Dem Psychologen blieb nichts anderes übrig, als alle Aussagen dieses Kindes und der anderen zu bezweifeln. Beckstein merkte auch, dass Staatsanwalt Fuhr ein mehr als berufliches Interesse an Pornos hatte. Sie spielte ihm Pornos in die Hände. Seine Ermittlungen blieben stets
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