Hauch der Verdammnis
Wochen spürte er keine Schmerzen mehr.
Für seine Mutter war der Tag nicht viel besser gelaufen als für ihn. Angefangen hatte es mit einem morgendlichen Anruf ihres Exmannes, der sie bedrängte, die Höhe der Unterhaltszahlungen neu auszuhandeln. Mit anderen Worten: Die Blondine, mit der er sich aus dem Staub gemacht hatte, brauchte mehr Geld. Nun, diese Idee hatte sie ihm schnellstens ausgeredet. Gegen Mittag fand sie dann heraus, dass eine Kollegin, die ein Jahr weniger Berufserfahrung hatte, den Platz im Vorstand bekommen sollte, der eigentlich ihr zugestanden hätte. Jetzt hatte sie zwei Möglichkeiten: ein weiteres Jahr zu warten oder sich auf Jobsuche zu machen. Die Antwort kannte sie allerdings bereits: Sie würden sie auch in einem Jahr nicht zum Partner machen, und deshalb konnte sie sich auch gleich mit den Headhunters in Verbindung setzen.
Als sie gerade zu der Überzeugung gekommen war, dass jetzt das Schlimmste überstanden sei, rief der Arzt an, um ihr einen guten Psychiater für ihren Sohn zu empfehlen. Aber bevor sie ihn zu einem Seelenklempner schickte, würde sie ihn auf alle Fälle noch von jemand anderem untersuchen lassen. Doch wahrscheinlich würde die Krankenversicherung dafür nicht aufkommen, und die Reise nach Maui hatte ihre Kasse schon bis zum Limit strapaziert.
Aber ihr würde schon noch etwas einfallen.
Als sie in die Auffahrt bog, drückte sie auf die Fernbedienung, bremste den Wagen ab und wartete darauf, dass sich das Garagentor hob.
Mehr noch als die Gase, die aus der Garage drangen, sagte ihr das Geräusch des laufenden Motors, dass etwas nicht stimmte. Sie rammte den Automatikhebel in Parkstellung, riß die Tür auf und stürzte aus dem Wagen in die Garage.
Ihr Sohn saß in seinem Auto. Seine Beine ruhten auf dem Beifahrersitz, und er lehnte mit dem Rücken an der Fahrertür. Sein Kopf hing auf der Brust.
Sie unterdrückte einen Schrei und zerrte am Türgriff.
Verschlossen!
Sie lief um den Wagen herum und versuchte es an der Beifahrertür, während sie den Namen ihres Sohnes rief.
Nichts!
Halt!
Hatte er sich nicht bewegt?
Sie hielt die Hand über die Augen und starrte in den Wagen.
Seine Brust bewegte sich. Er atmete noch.
Die Gase in der Garage drangen in ihre Lunge, und sie musste husten. Nervös angelte sie nach dem Schlüssel, der an einem Nagel unter der Werkbank hing, schloß die Tür zur Küche auf und griff nach dem Telefon. »Mein Sohn!« schrie sie, als sich eine Stimme der Notrufzentrale meldete. »O mein Gott, ich brauche einen Krankenwagen!«
Eine bedächtige Stimme fragte sie ruhig nach ihrer Adresse.
Ihr Kopf war plötzlich vollkommen leer. »Ich ... ich kann nicht...« Schließlich fiel es ihr wieder ein, und sie platzte mit der Hausnummer heraus. »North Maple, zwischen Dayton und Clifton. Machen sie schnell! Er hat sich in seinem Wagen in der Garage eingeschlossen, und ...«
Die gelassene Stimme unterbrach sie. »Bleiben Sie ganz ruhig, Ma'am. Ein Wagen ist bereits unterwegs.«
Sie ließ den Hörer auf die Arbeitsfläche fallen und rannte in die Garage zurück. Sie musste den Wagen aufkriegen - irgendwie. Ein Hammer. Am anderen Ende der Werkbank hatte doch immer ein Vorschlaghammer gestanden. Sie zwängte sich zwischen Motorhaube und Bank hindurch und betete im stillen, dass ihr Exmann den großen Hammer nicht einfach mitgenommen hatte. Er hatte nicht - der Hammer stand genau da, wo er immer gestanden hatte. Sie packte den Griff mit beiden Händen, schwang den Hammer und ließ den breiten Metallkopf mit aller Kraft in das Beifahrerfenster des Wagens krachen. Das Sicherheitsglas zersprang in Tausende kleiner Splitter. Die Frau ließ den Hammer fallen, griff durch das zerbrochene Fenster und öffnete von innen die Tür. Sie riß sie auf, beugte sich über ihren Sohn und zog den Zündschlüssel ab. Das donnernde Motorengeräusch erstarb und wurde in der nächsten Sekunde vom durchdringenden Geheul einer sich nähernden Sirene abgelöst. Sie packte die Fußgelenke ihres Sohnes und versuchte ihn aus dem Wagen zu ziehen, aber noch bevor ihr das gelang, schoben sie zwei weißgekleidete Sanitäter sanft beiseite, schafften den Jungen heraus und preßten ihm eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht. Als sie sah, dass er sich bewegte, befreite sie sich langsam aus der Umklammerung der Panik.
»Er kommt zu sich«, versicherte ihr einer der Nothelfer, als sie den Jungen aus der Garage trugen und auf eine Bahre legten. »Sieht aus, als würde er es
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