Hauchnah
Wohnwie auch im Arbeitszimmer befand sich auch auf ihrem Laptop, einschließlich des Internets, sämtlicher Fotos und aller Spezialprogramme, die sie für den Zugang benötigte.
Natalie ging zurück ins Wohnzimmer, holte den Laptop aus seinem Fach in dem großen Konsolentisch aus Mahagoni und setzte sich aufs Sofa. Die moderne Technologie erleichterte Blinden das Navigieren im Web. Dank der Programme, die nicht nurText in gesprochene Sprache umsetzten, sondern auch alles, was auf dem Monitor zu sehen war, bis ins kleinste Detail beschrieben, einschließlich der Position des Cursors, konnte Natalie die Zeitung online „lesen“, Songs auf ihren iPod laden und so ziemlich alles ausführen, was ein Sehender konnte. Im Moment beabsichtigte sie, die Fotos vom Bauernmarkt zu vergrößern und auszudrucken.
Doch zunächst einmal … zunächst einmal wollte sie so viel wie möglich über Agent Liam „Mac“ McKenzie in Erfahrung bringen.
M
Die große Initiale erschien auf allen Seiten, die Mac bearbeitete – Zeugenvernehmungen, Kopien von Lindsays Tagebuch, Ausdrucke von ihren Beiträgen auf MySpace und Facebook sowie Twitter-Nachrichten. Es lagen viele Fakten vor, die aber rein gar nichts über die Person verrieten, mit der Lindsay sich angefreundet hatte, bevor sie im vergangenen Herbst zu Hause ausgerissen war. Selbst wenn sie mit Freunden über diese Person redete, hatte Lindsay nur dieses M benutzt, sorgsam darauf bedacht, niemals seine Identität, ihre Treffpunkte oder irgendetwas Bedeutsames über ihre Beziehung preiszugeben, abgesehen davon, dass sie ihn liebte, dass er sie liebte und alles gut werden würde.
Seit Wochen verfolgte Mac Hinweise auf die Identität von M, doch er hatte nichts gefunden, und daran änderte auch Lindsays Kettenanhänger nichts, der in Natalies Wohnung gefunden wurde. Und auch wenn die Suche nach Alex Hanes oberste Priorität hatte, musste Mac doch weiterhin andere Möglichkeiten ins Visier nehmen. Andere potenzielle Verdächtige. Die Ermittlungen durften sich nicht auf eine Person konzentrieren, sondern auf die Gewichtung des Beweismaterials insgesamt.
Gedanken an Natalie Jones lenkten ihn immer wieder ab.
Das war wahrscheinlich gar nicht so schlimm. Sie bot genauso viele Anhaltspunkte wie Lindsays Tagebuch oder ihr Anhänger.Doch auch diese Anhaltspunkte ergaben nichts, waren nur vordergründige Informationen, die ins Leere führten. Außerdem hatten sämtliche Telefonate und Gespräche mit Lindsays Freunden und Verwandten, in denen er herausfinden wollte, ob ein Zusammenhang zwischen dem jungen Mädchen und Natalie Jones bestand, nichts gebracht.
Egal. Ausdauer und Geduld waren die besten Hilfsmittel eines Detectives.
So aufregend das Fernsehen die Polizeiarbeit auch darstellen mochte, bestand sie doch größtenteils aus qualvoll langweiliger Lauferei statt aus Verfolgungsjagden in dunklen Gassen. Doch das war Mac die Genugtuung auf dem Gesicht eines Opfers oder eines lieben Hinterbliebenen wert.
Deshalb hasste er es auch, wenn ihm ein Fall aus den Händen glitt. Wenn er scheinbar zusammenhanglose Indizien nicht wie Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammenfügen konnte.
Zum Beispiel, dass er Natalies Blindheit nicht bemerkt hatte.
Dass er Lindsays Mörder nicht finden konnte.
Dass er nicht entscheiden konnte, ob Natalie, die Frau, die bei ihrem ersten Zusammentreffen feindselig und verängstigt auf ihn reagiert hatte, feige war oder die mutigste Frau, die er je getroffen hatte.
Die Spitze des Bleistifts, mit dem Mac Notizen gemacht hatte, brach ab, und Mac fluchte. Er warf den Stift in den Müll, stand auf, dehnte seine schmerzenden Muskeln und verließ sein Büro, um das Großraumbüro der Detectives aufzusuchen, den Dreh- und Angelpunkt der SIG. Alle waren anwesend, außer Jase, der „Privatangelegenheiten“ zu regeln hatte.
Mac schnaubte und schüttelte den Kopf. Der Kerl war noch jung und ungebunden, warum sollte er nicht das Beste daraus machen? Solange es seine Arbeitsleistung nicht beeinträchtigte, was bisher nicht der Fall war, ging es niemanden etwas an.
Mac fuhr sich über den Nacken und mahnte sich zur Konzentration. Zur Konzentration auf den Fall. Darauf, den Scheißkerl zu stellen, dem mindestens eine Frau zum Opfer gefallen warund wer weiß wie viele mehr, seit er gegen die Bewährungsauflagen verstoßen und sich aus dem Staub gemacht hatte.
In der Kaffeeküche blickte Mac finster auf das kleine Päckchen Kaffeebohnen, das die Mischung des Tages als
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