Hauchnah
schulden, in seiner Freizeit seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen statt die einer anderen Person.
Damit er Zeit gewann, um seine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen, lenkte er seine Aufmerksamkeit von ihr fort und auf den Raum, in dem sie saß. Er wirkte großzügig, und die vielen Fenster ermöglichten einen schönen Blick auf den Garten samt von Buchsbaumhecken gesäumten Wegen. Die Pflege eines solchen Gartens bedeutete viel Arbeit; wahrscheinlich beschäftigte Natalie einen Gärtner.
Im Gegensatz zu dem sterilen Hausinneren, in dem nichts von dem Schnickschnack oder den Farben zu finden war, die die meisten Frauen mochten, war ihr Garten ein üppiges Paradies in allen Regenbogenfarben. Verspielte Bänke und Statuen lugten hinter Rosenbüschen und Kirschbäumen hervor. Dieser Garten spiegelte in Macs Augen Natalies wahre Persönlichkeit wider. Dass sie immer noch jemanden bezahlte, der den Garten pflegte, sprach Bände.
Mit langsamen Bewegungen, wie unter Schmerzen, legte Natalie den Beutel mit Erbsen auf den Tisch. Sie hob die Arme, fasste ihr Haar zu einem provisorischen Pferdeschwanz zusammen und seufzte. Mac betrachtete die zarte Haut ihres Halses. Die geschmeidigen Armmuskeln erinnerten ihn an einen langsam fließenden Fluss. Als sie ihr Haar losließ, fiel es wie ein seidiger Vorhang über ihre Schultern, und es juckte Mac in den Fingern, diese weichen, wenn auch jetzt wirren Locken zu berühren.
„Wollen Sie noch lange dort stehen bleiben, Agent McKenzie?“
Er kniff die Augen zusammen, nicht so sehr ihrer Worte wegen, sondern aufgrund ihres ruhigen Tonfalls. Wären die erkennbaren Verletzungen nicht gewesen, hätte kein Mensch geglaubt, dass diese Frau aus einem fahrenden Auto gesprungen war, um einem Mörder zu entkommen. Wie schon früher drängte es ihn instinktiv, sie so lange mit bohrenden Fragen zu bearbeiten, bis sie diese verdammte Contenance verlor. Doch dieses Mal gab er der Versuchung nicht nach. Zunächst einmal war sie mehr als genug bearbeitet worden, und ihre stringente, sichere Redeweise verriet ihm, dass sie sich wohl keine Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Er passte sich ihrem neutralen Tonfall an, übertrafihn sogar noch, als er leise erwiderte: „Sie haben wohl Augen im Hinterkopf, wie? Und Sie haben vergessen, es uns zu sagen. Woher wussten Sie, dass es nicht Jase ist? Oder ein anderer Polizeibeamter?“ Oder ein Mörder?
Sie zuckte die Achseln. „Die meisten Menschen sind nicht so leise, wie sie glauben. Und Sie atmen anders als Jase.“ Ihre letzten Worte klangen ein bisschen krächzig, doch dann wurde Mac klar, dass ihre geschwollene Lippe ihr die Aussprache erschwerte.
Weil er plötzlich seine erneut aufkeimende Wut – dieses Mal auf Natalie, weil sie die ärztliche Behandlung verweigerte – niederringen musste, schwieg er eine ganze Weile. Sie wurde nicht mürbe. Fing nicht an, nervös zu plappern wie die meisten Menschen nach einem Schockerlebnis. Gab vielmehr keinen Ton mehr von sich. Sie schien zufrieden damit, einfach dazusitzen. So zufrieden, dass sie genauso gut nach einer Feile hätte greifen und ihre Nägel polieren können.
Unwillkürlich richtete Mac den Blick auf ihre Finger. Ihre Nägel waren kurz, aber perfekt in Muschelrosa lackiert, trotz ihrer anderen körperlichen Schäden. Dezent, aber vornehm, wie alles an ihr. Und wieder war ihm ihre unfassbare Haltung zuwider, trotz seiner Erleichterung, mit eigenen Augen zu sehen, dass es ihr gut ging. Diese Contenance bewies, wie geübt sie im Verbergen ihrer wahren Gefühle war. Vor der Welt. Vor Männern im Allgemeinen. Es ärgerte ihn maßlos.
Er trat in das Zimmer und blieb direkt vor Natalie stehen. „Was soll das, dass Sie sich weigern, sich im Krankenhaus untersuchen zu lassen?“
Sie wandte instinktiv ausweichend das Gesicht von ihm ab. „Ich bitte Sie. Nach einem Sturz mit dem Mountainbike habe ich schon schlimmer ausgesehen. Mir geht’s gut.“
Es erschien ihm lächerlich, dass sie ihre Verletzungen so lässig abtat, bis ihm einfiel, dass sie ja die Frau war, die die ganze Welt bereist hatte und einoder zweimal aus einem Flugzeug gesprungen war. „Dann müssen Sie eben besser auf sich achtgeben. Gehen wir. Jase ist noch hier und telefoniert. Er kann …“
„Nein.“
„Natalie, ich meine es ernst. Sie müssen sich untersuchen lassen. Wenn Sie wollen, dass ich Sie im Krankenhaus als nicht zurechnungsfähig darstelle …“
Sie fuhr so heftig aus ihrem Sessel hoch, dass dieser
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