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Hauchnah

Hauchnah

Titel: Hauchnah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virna Depaul
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Musik mag, dachte Natalie.
    Der Wagen ruckte, als der Mann aufs Gaspedal trat. „Halt die Klappe“, fuhr er Natalie an.
    Ausgeschlossen. „Warum? Warum musstest du Lindsay umbringen? Sie hatte Eltern. Jemanden, der sie liebte.“ Obwohl Agent McKenzie nichts dergleichen geäußert hatte, wusste Natalie irgendwie, dass jemand das Mädchen geliebt hatte.
    Wieder musste sie an ihre Mutter denken. Wie sie sich nach ihrer Nähe gesehnt hatte. Wie ihre Mutter sie auf Schritt und Tritt abgewiesen hatte.
    Sie veränderte unmerklich ihre Sitzposition, streifte mit den Fingerrücken das kühle Metall des Türgriffs und schätzte ein, wo er sich befand. Sie lehnte sich gegen die Tür, tat so, als wäre ihr übel vor Angst, und drückte das Gesicht an die kalte Fensterscheibe. In der Hoffnung, möglichst fern von den Reifen des Fahrzeugs aufzuschlagen, beugte sie sich leicht vor.
    „Abraham hatte einen Sohn, und Gott befahl ihm, diesen Sohn zu töten. Abraham lehnte sich auf gegen die unmögliche Forderung und wusste doch, dass er gehorchen musste. Dem Wort Gottes, dem Reich Gottes. Wir dürfen nicht fragen, warum.“
    Abraham? Sie versuchte sich an die Geschichte des Mannes zu erinnern, dem befohlen wurde, seinen geliebten Sohn zu töten. Wie hatte dieser Sohn geheißen?
    Isaac. Ja, genau. Und wenn sie sich recht erinnerte, hatte Isaac nicht sterben müssen. „Gott hat nicht zugelassen, dass Abraham Isaac tötete“, wandte Natalie ein.
    Der Mann schien sich über ihre Antwort zu freuen. „Stimmt. Er hat ihn daran gehindert. Hat ihn für seinen Gehorsam belohnt. Und Lindsay? Gott hätte ihren Tod verhindert, wenn er gewollt hätte. Das hat er nicht getan. Er könnte mir für dich ein Zeichen geben, aber auch das hat er nicht getan. Jedenfalls bis jetzt noch nicht, aber wer weiß? Zunächst müssen wir reden. Ich muss wissen, was du gesehen hast. Wir haben jede Menge Zeit.“
    Trotz seiner anscheinend ruhig gesprochenen Worte ging sein Atem unregelmäßig, als könnte er sich nur mühsam beherrschen.
    Natalies Körper wurde leicht in den Sitz gedrückt, als der Mann Gas gab.
    Verdammt. Jetzt. Sie musste sich jetzt gleich aus dem Wagen fallen lassen.
    Mit gut funktionierendem Augenlicht hätte sie nach einem möglichst weichen Aufschlagort Ausschau gehalten, vorzugsweise Gras oder auch Schlamm, aber dieses Augenlicht fehlte ihr. Das konnte sie also nicht, genauso wenig, wie sie sicher sein konnte, dass sie sich nicht geradewegs vor ein Fahrzeug warf. Aber Verkehr brauchte sie. Zeugen. Hilfe. Vor den Augen vieler Menschen würde der Mann nicht anhalten und zurückkommen, um sie zu holen. Und es würde ihre Chancen erhöhen, dass jemand Hilfe holte, wenn er sah, dass sie verletzt war.
    Dass sie Verletzungen davontragen würde, bezweifelte sie nicht. Nicht einmal, dass sie sterben könnte. Doch dann würde sie durch ihre eigene Schuld sterben, nicht von den Händen eines anderen.
    „Du willst ein Zeichen?“, fragte sie. Mit einem Wutschrei schwang sie mit der Kraft der Verzweiflung ihren Stock. Der Mann schrie auf, der Wagen geriet ins Schlingern.
    Sie hatte getroffen!
    „Da hast du dein Zeichen!“, schrie sie. Ohne lange zu überlegen, drückte Natalie den Türgriff, stieß die Tür auf und katapultierte sich aus dem Fahrzeug. Wahrscheinlich war es ein Segen, dass sie den Asphalt nicht sehen konnte, der ihr entgegenraste. Der Fahrtwind und der Lärm waren beängstigend genug. Sie rollte ihren Körper so fest wie möglich zusammen. Verschwommen hörte sie aus der Ferne einen Fluch, dann Schreie, doch sie war sich nicht sicher, ob es ihre eigenen oder die anderer Personen waren.
    Der Aufprall nahm ihr den Atem und lähmte ihr Denken. Unsagbarer Schmerz überwältigte sie, verschwand dann aber wieder, ein Zeichen dafür, dass sie im Begriff war, das Bewusstsein zu verlieren.
    Unfassbar, dass ihr letzter Gedanke Sandelholz und Zitrusduft galt.
    Und ihren Gefühlen, als Agent McKenzie sie berührt hatte.

12. KAPITEL
    M ac fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und fühlte sich zerrissen zwischen Enttäuschung, Zorn und zunehmender Sorge. Die Stunde, die Natalie nach ihren Worten benötigte, um zur Polizeiwache zu kommen, war gerade verstrichen. Sie ging weder an ihr Handy noch an ihr Telefon zu Hause; er hatte es schon mehrmals versucht.
    Wahrscheinlich hätte sie ihn sowieso schnippisch abgefertigt. Wieder einmal. Das war, was ihn betraf, anscheinend ihr Betriebsmodus. Als sie ihm mitgeteilt hatte, dass ihre Fahrgelegenheit

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