Haus des Grauens
und Felix zum Gebäude rannten, spürte Jasper seine Füße vor lauter Kälte kaum noch. Zumindest war niemand vom Aufsichtsdienst unterwegs – das wenigstens konnten sie sehen. Wahrscheinlich waren die viel zu sehr damit beschäftigt, Kinder aus ihren Betten zu zerren.
„Na endlich“, flüsterte Jasper Felix zu, als sie leise zur Vordertür schlichen und dabei sorgsam darauf achteten, nicht in den Lichtkegel der Suchscheinwerfer zu geraten. Langsam drückte er den Türgriff nach unten. Die Türe war nicht verschlossen. Sie hatten es geschafft! Erleichtert lächelte Jasper Felix an. Dann öffnete er langsam und vorsichtig die Tür.
Plötzlich stellte sich ihnen eine dunkle Figur in den Weg. „Na, warum sind wir denn nicht im Bett?“, zischte eine bösartige Stimme höhnisch.
Jasper erkannte sofort das Narbengesicht und die harten Augen des Aufsichtsschülers. Er hatte schon in der Kantine nicht besonders nett ausgesehen, und hier war er kein bisschen netter. „Mitkommen“, knurrte Bruno.
Jasper und Felix schafften es gerade noch rechtzeitig zur ersten Stunde: Monsterkunde . Den Rest der Nacht hatten sie auf Brunos Befehl in der eiskalten Wäscherei verbracht und die ganze dreckige Wäsche des Aufsichtsdienstes waschen müssen – von Hand, in riesigen Bottichen mit kaltem Wasser. Als der Aufweckgong für alle ertönte, hatten Jasper und Felix Hände, schrumpelig wie Rosinen. Weiche, kalte Rosinen.
Und jetzt hatten sie Monsterkunde und hörten zu, was ihnen Stenka über verschiedene Monster erzählte. Auch Saffy war in Kasse 1B gelandet und hatte sich einen Platz in der Nähe von Jasper und Felix gesucht.
Das Klassenzimmer, in dem Monsterkunde unterrichtet wurde, war ganz anders als alle anderen, die Jasper kannte. Ein warmes Feuerchen flackerte fröhlich hinter dem Lehrerpult, und statt Reihen von Bänken und Stühlen gab es für jeden Schüler einen bequemen Sessel oder eine Couch. Es sah sehr gemütlich aus. Aber gerade das war merkwürdig für ein Klassenzimmer für Monsterkunde – vor allem, weil Stenka alles andere als gemütlich war. Jasper bekam ein mulmiges Gefühl.
„Das hier“, sagte Stenka und knallte ihren Zeigestock gegen die Tafel, sodass ihr Irokesenschnitt von dem Schlag vibrierte, „ist ein Suckelschmätzer!“
Jasper starrte auf das Bild des Monsters. Es sah aus wie ein schleimiges, mit Warzen übersätes, krötenartiges Wesen, das jemand mitten auf den Bürgersteig gekippt hatte.
„Suckelschmätzer gehören zur Gattung der Mampfer. Monster der Gattung Mampfer fressenMenschen. Oder Teile davon“, fügte Stenka wie selbstverständlich hinzu, als sei das der normalste Unterrichtsstoff der Welt.
„Es gibt vier verschiedene Gattungen von Monstern, wie Henrik Schnellman sie klassifiziert hat“, fuhr sie fort. „Er war der Gründer von Monstrum House und der erste Mensch, der sich das Studium von Monstern zur Lebensaufgabe machte. Letztendlich wurde er gefressen.“
Jasper riss eine Seite aus seinem Heft und begann, einen Comic zu zeichnen: einen Suckelschmätzer, wie er sich die Lippen leckt und sabbernd über das halb verspeiste Bein von Henrik Schnellman beugt.
„Die besonders bösartigen Vertreter der Gattung der Mampfer verschlingen ihre Opfer mit Haut und Haar. Das ist übrigens der Grund dafür, dass manche Menschen spurlos verschwinden.“ Stenka machte eine kurze Pause und betrachtete mit liebevollem Lächeln das Bild des Suckelschmätzersan der Tafel. Sein Maul war weit aufgerissen und ein langer Faden dunklen Schleims tropfte ihm von der Zunge herab. „Dieser Prozess kann lange dauern und äußerst schmerzhaft sein. Ein Suckelschmätzer braucht zum Beispiel etwa eine Woche, um einen ausgewachsenen Menschen völlig zu verdauen.“
Jasper fragte sich, wie lange ein Suckelschmätzer wohl brauchte, um einen Teenager zu verdauen – entschied dann aber, dass er das vielleicht doch nicht unbedingt wissen musste.
Dabei fand er, dass das Monster eigentlich ganz cool aussah – ein bisschen schräg vielleicht, aber lustig. Ein Haufen Kotze mit Beinen. Obwohl es wahrscheinlich nicht ganz so lustig war, wenn man selbst gerade langsam verdaut wurde.
„Der Schleim frisst sich durch den Körper wie Säure“, ergänzte Stenka fröhlich.
„Wie kann man denn so ein Monster töten?“, fragte Saffy.
„Oh nein“, wisperte Stenka, „Monster kann man nicht töten. Nur fangen und ... umwandeln. Aber das kriegen wir später. Aber ihr – ihr könnt getötet werden.
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