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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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gesagt hatte: »Nein, ich lasse mich nicht...«
    Und er wußte plötzlich, woran Brielach dachte und warum er vom Spiel
    weggelaufen war. Würde Brielachs Mutter jetzt dem Bäcker sagen: »Ja, ich laß mich...»
    Die Vorstellung war ungeheuerlich. Er war sehr traurig und hätte weinen mögen, aber er hielt die Tränen zurück, obwohl es dunkel war. Alles war unmoralisch, und daß die Großmutter einfach nach einer Spritze verlangte, ohne Blut im Urin zu spielen, erfüllte ihn mit Schrecken; früher hatte sie alle drei Monate einmal Blut im Urin gespielt, jetzt aber verlangte sie schon nach vier Tagen eine neue Spritze. Alt war sie geworden, und sie hatte geweint, beides war neu für ihn und erschreckend, am schlimmsten aber war, daß sie schon nach vier Tagen nach dem weißen, farblosen Nichts verlangte, ohne das Spiel zu spielen. Etwas war vorbei, er wußte noch nicht was, er wußte nur, daß es vorbei war und daß es mit Gäseler zusammenzuhängen schien.
    »Schläfst du?« fragte er wieder leise zu Heinrich hinüber, und Heinrich sagte:
    »Nein«, und es schien ihm, als klänge dieses Nein unfreundlich, abweisend, und er glaubte zu verstehen, was Heinrich so traurig stimmte: Es war der Wechsel zwischen unmoralisch. Leo war Leo, aber unmoralisch hatte mit ihm
    schlimm wie die Tatsache, daß die Großmutter ohne Blut im Urin nach der Spritze verlangte. »Nein, nein«, sagte unten im Dunkeln auf der Terrasse Albert plötzlich laut: »Nein, es ist schon besser, wir geben ȇ s auf, ans Heiraten zu denken.« Dann sprach die Mutter, aber sie sprach leise. Bolda kam hinzu, auch Glum und Will kamen, und Alberts Stimme wurde lauter Ȭ »ja, wollte ihn schlagen und stieß alle beiseite, die sie hindern wollten. Schurbigel bekam ein paar Ohrfeigen und Pater Willibrord einen Stoß vor die Brust« Ȭ hier lachte Albert, aber sein Lachen klang nicht schön Ȭ , »und was blieb mir anderes übrig, als ihr beizustehen, und ich schlug fest zu, jedenfalls erkannte er mich.«
    »Gäseler?« fragte die Mutter.
    »Ja, er erkannte mich, und ich bin sicher, daß wir von ihm verschont bleiben werden. Wir kamen nicht gegen sie auf.«
    »Natürlich«, sagte Glum langsam und feierlich, und die Mutter lachte, und auch ihr Lachen klang nicht schön. Es blieb still unten, bis er ruhiges Motorengeräusch hörte, und er dachte erst, es sei der Wagen des Arztes, aber das Geräusch kam vom Garten her, und es kam vom Himmel. Es war das ruhige Brummen eines Flugzeugs, das sich langsam am Himmel hin Ȭ schleppte, und er schrie vor Überraschung auf, als das Flugzeug im dunklen Fensterausschnitt auftauchte: Hinter den roten Positionslichtern zog es eine Schleppe hinter sich her. Phosphorezierende Buchstaben waren deutlich am Himmel zu lesen: Dumm ist, wer noch einmacht Ȭ glatt und flinker, als er gedacht hatte, glitt die Schrift durch den Fensterausschnitt, aber ein zweiter Brummer kam hinterher, schleppte seinen Spruch am dunklen Himmel entlang: Holstege macht für dich ein. »Sieh«, sagte er erregt zu Heinrich hin,
    »das ist Reklame von Omas Fabrik.«
    Aber Heinrich schwieg, obwohl er wach war. Unten weinte die Mutter heftig, und Albert fluchte laut vor sich hin: »Schweine«, sagte er,
    »Schweine...« Brummend zogen die Flugzeuge in Richtung Schloß Brernich
    davon.
    Es blieb still unten, und er hörte nur das Schluchzen seiner Mutter und manchmal ein Glas klirren, und er hatte Angst, weil Heinrich schwieg, obwohl er wach war. Erhörte ihn atmen, und er atmete heftig, wie jemand,
    Flüchtig versuchte er an Hopalong Ȭ Cassidy zu denken, an Donald Duck, aber
    es kam ihm dumm vor. Er dachte an: Wenn du der Sünden willst gedenken, und es kam die schreckliche erste Katechismusfrage hoch: Wozu sind wir auf Erden? Und er dachte automatisch die Antwort hinzu: Um Gott zu dienen, ihn zu lieben und dadurch in den Himmel zu kommen. Aber dienen, lieben, in den Himmel kommen, diese Worte sagten nicht alles. Der Frage nicht angemessen erschien ihm die Antwort, und er erlebte den Zweifel zum erstenmal bewußt und wurde sich klar, daß etwas vorbei war: was, wußte er nicht, aber etwas war vorbei. Er hätte weinen mögen, schluchzen wie die Mutter unten, aber er tat es nicht, weil Brielach immer noch wach lag und weil er zu wissen glaubte, woran Brielach dachte: an seine Mutter, an den Bäcker, an das Wort, das seine Mutter zum Bäcker gesagt hatte.
    Aber daran dachte Heinrich jetzt nicht: Er dachte an die Hoffnung, die für
    einen Augenblick im Gesicht seiner

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