Haus Ohne Hüter
kam Bolda noch spät die Treppe herunter, um sich unten in der Küche etwas zu brutzeln: schlurfende Schritte, zaghaft angeknipstes Licht, und doch begegnete sie meistens der Großmutter, und deren dunkle Stimme sagte dann in der Diele:
»Na, du gierige Schlunze, machst dir mitten in der Nacht noch was zurecht Ȭ
brätst du, fummelst du, kochst du dir noch irgendeinen Dreck?« Dann lachte Bolda mit ihrer schrillen Stimme: »Ja, du verfressenes Aas, ich hab ȇ noch Hunger, magst du was mit?« Ȭ Wieder schrilles Lachen bei Bolda und ein dumpfes, viel Ekel ausdrückendes Bäh der Großmutter. Oft auch tuschelten die beiden nur, und er hörte nur hin und wieder ein Lachen: grell von Bolda, dunkel von der Großmutter.
Glum aber, der oben auf und ab ging, las in seinen merkwürdigen Büchern: Dogmatik und Moraltheologie. Punkt zehn löschte er das Licht, ging ins Badezimmer oben, wusch sich Ȭ Rauschen des Wassers und der Puff, wenn die Stichflamme die vielen Flämmchen des Gasboilers entzündete, dann kehrte Glum in sein Zimmer zurück, löschte das Licht und kniete im Dunkeln vor seinem Bett nieder, um zu beten. Er hörte genau, wenn Glum die schweren Knie auf den Boden setzte, und wenn es in den anderen Räumen still war, hörte er ihn oben murmeln: Lange murmelte Glum dort oben im Dunkeln. Und wenn Glum dann aufstand und die Stahlfedern der Matratze quietschten, dann war es genau halb elf. Alle im Hause Ȭ außer Glum und Albert Ȭ waren unregelmäßig in ihren Gewohnheiten: Bolda konnte noch nach Mitternacht herunterkommen, um sich in der Küche Schlaftee zu kochen, Hopfenblätter, die sie in einer braunen Papiertüte bereithielt; und die Großmutter ging manchmal noch nachts, wenn die Uhr schon lange eins geschlagen hatte, in die Küche, machte sich einen ganzen Teller voller Fleischbrote und ging mit einer Flasche Rotwein unter dem Arm in ihr Zimmer zurück. Mitten in der Nacht auch konnte ihr plötzlich einfallen, daß ihre Zigarettendose leer war Ȭ eine hübsche, hellblaue Porzellandose, in die sie zwei Zwanzigerpackungen entleeren konnte. Dann
im Hause herum und suchte Zigaretten: schlurfende Riesengroßmutter mit
ganz hellem, blondem Haar und rosigem Gesicht, die zuerst zu Albert ging: Nur Albert rauchte Zigaretten, die ihrem Geschmack entsprachen. Glum rauchte nur Pfeife, und Mutters Marke mochte die Großmutter nicht Ȭ
»schwacher Weiberdreck Ȭ oh, mir wird schon schlecht, wenn ich die Stroh Ȭ
dinger sehe« Ȭ , und Bolda hatte immer nur ein paar halbzerdrückte, fleckige Zigaretten im Schrank, mit denen sie den Briefträger beglückte und den Mann vom Elektrizitätswerk, Zigaretten, die Großmutters Spott herausforderten.
»Sehen aus, als hättest du sie aus Weihwasser gefischt und getrocknet, alte Schlunze Ȭ Nonnenzigaretten, bäh«, und manchmal waren gar keine Zigaretten im Haus, und Onkel Albert mußte sich mitten in der Nacht ankleiden, mit seinem Auto in die Stadt fahren, um Zigaretten zu holen, oder Albert und die Großmutter suchten Fünfzigpfennig Ȭ und Markstücke zusammen, und Albert mußte am Automaten welche ziehen. Dann beruhigte sich die Großmutter nicht, wenn sie zehn oder zwanzig Stück bekam Ȭ fünfzig mußten es sein, knallrote Packungen, auf denen Tomahawk stand, Rein Virginia, sehr lange, ganz schneeweiße, sehr starke Zigaretten. Ȭ »Oh, sie müssen aber frisch sein, lieber Junge« Ȭ und sie umarmte Albert im Flur, wenn er zurückkam, küßte ihn und murmelte: »Wenn du nichts wärst, mein Junge Ȭ wenn du nicht wärst Ȭ , ein Sohn könnte nicht besser sein.« Dann endlich ging sie in ihr Zimmer, aß ihre Brote, dick mit Butter und Fleisch belegte große Weißbrotschnitten, trank ihren Wein und rauchte.
Albert war fast so regelmäßig wie Glum: Ab elf war bei Onkel Albert Ruhe —
alles, was nach elf im Hause geschah, ging aufs Konto der Weiber: Großmutter, Bolda und Mutter. Die Mutter stand nur selten auf, aber sie las lange und rauchte leichte, ganz flache Zigaretten, die sie aus einer gelben Packung nahm. Moschee Ȭ Rein Orient stand darauf, und sie trank ganz selten einen Schluck Wein und stellte alle Stunden den Ventilator an, um den Rauch aus dem Zimmer zu pumpen. Oft aber war die Mutter weg, oder sie brachte abends Besuch mit, und er wurde dann in Onkel Alberts Zimmer hinübergetragen und stellte sich schlafend. Er haßte Besuch, obwohl er gern in Onkel Alberts Zimmer schlief. Es wurde so spät, wenn Besuch da war: zwei Uhr, drei Uhr, vier Uhr nachts, oft
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