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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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Wand gehangen. Aber auch, wenn er sich herumgedreht hatte, hörte er noch Karls Geflüster, ohne die einzelnen Worte zu verstehen; er hörte das Gekicher seiner Mutter. Und dieses Kicherns wegen haßte er sie für Augenblicke. Später gab es Streit zwischen seiner Mutter und Karl wegen eines nie ausgesprochenen Dinges, das »es« hieß. »Ich mach ȇ es weg«, war das, was die Mutter immer wieder sagte. »Und du machst es nicht weg!« war das, was Onkel Karl immer wieder sagte. Erst später verstand Heinrich, was »es« war.
    ter ins Krankenhaus, und Karl war gereizt und verstört und beschränkte sich
    darauf, zu ihm zu sagen: »Du kannst ja nichts dazu.«
    Nach Suppe riechende Gänge im Krankenhaus, viele, viele Frauen in einem großen Saal, und die Mutter gelblichweiß im Gesicht, aber lächelnd, obwohl sie »so Schmerzen hatte«. Karl stand finster neben ihrem Bett.
    »Es ist aus zwischen uns, du hast >es<...«
    Geheimnisvolles »Es«, und Karl ging weg, noch bevor die Mutter aus dem Krankenhaus zurück war. Heinrich blieb fünf Tage in der Obhut der Nachbarin, die ihn sofort wieder zum Schwarzmarktboten ernannte. Dort gab es neue Gesichter, neue Preise, und niemand kümmerte sich mehr darum, ob er betrogen wurde oder nicht. Bilkhager, bei dem er immer Brot gekauft hatte, saß im Gefängnis, und Opa, der Weißhaarige, der für Tabak und Süßstoff zuständig war, saß ebenfalls im Gefängnis, weil er bei dem abenteuerlichen Versuch überrascht worden war, in seiner Wohnung ein Pferd zu schlachten. Alles war anders dort, teurer und bitterer. Und er war froh, als die Mutter wieder aus dem Krankenhaus kam, denn die Nachbarin klagte den ganzen Tag über ihre dahingegangene Körperfülle und erzählte ihm von Dingen, die man essen konnte: märchenhafte Geschichten von Schokolade, Fleisch und Pudding und Sahne, die ihn verwirrten, weil er mit solchen Worten keine klaren Vorstellungen verband.
    Die Mutter war still und nachdenklich, freundlicher als früher, und sie nahm eine Stelle an in der Küche, wo die Suppen für die städtischen Angestellten gekocht wurden. Nun gab es täglich einen Dreiliterkessel voll Suppe, und was davon übrigblieb, wurde getauscht, gegen Brot, gegen Tabak, und die Mutter saß abends mit ihm allein am Radio, rauchte, war still und nachdenklich, und wenn sie etwas sagte, sagte sie: »Alle Männer sind Feiglinge.«
    Die Nachbarin starb Ȭ dürres Überbleibsel, hageres, dunkles, freßgieriges Gestell, das zehnmal am Tage zu erwähnen sich veranlaßt fühlte, daß es früher mehr als zwei Zentner gewogen habe. »Schau mich an, schau mich richtig an, ich, ich habe früher mehr als zwei Zentner gewogen, ich habe genau meine zweihundert Ȭ vierunddreißig Pfund gehabt Ȭ und nun schau mich an mit mei Ȭ nen hundertvierundzwanzig.« Aber was waren zwei Zentner:
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    eine Gewichtsangabe, die nur die Vorstellung von Kartoffel Ȭ , Mehl Ȭ und Brikettsäcken erweckte: Zwei Zentner Briketts gingen genau in den kleinen Leiterwagen, mit dem er so oft an die Kohlenzüge gefahren war, um Briketts zu klauen Ȭ kalte Nächte, und der Pfiff des Schmierestehers, der an dem Signalmast hinaufkletterte, um Zeichen zu geben, wenn die Polizei kam. Der Wagen war schwer, wenn er zwei Zentner geladen hatte Ȭ und die Nachbarin hatte mehr gewogen.
    Nun war sie tot: Astern auf einen Grabhügel gelegt. Ȭ Dies irae, dies illa, und als
    die Möbel von Verwandten abgeholt wurden, blieb ein Foto auf der Treppe liegen: ein großes bräunliches Bild, auf dem die Nachbarin vor einem Haus zu sehen war, das »Villa Elisabeth« hieß. Weinberge im Hintergrund, eine Grotte aus Lavagestein, in der Steingutzwerge mit Schubkarren spielten, und davor die Nachbarin, blond und dick Ȭ und oben ein Mann im Fenster, der die Pfeife rauchte, und quer über den Giebel des Hauses »Villa Elisabeth«. Natürlich, sie hatte ja Elisabeth geheißen.
    In das leergeräumte Zimmer zog ein Mann, der Leo hieß und die Uniform eines Straßenbahnschaffners trug: blaue Mütze mit rotem Band. Und das, was Leo »sein Halfter« nannte: Geldtasche und ein Holzetui für die Fahrscheinblocks, ein Schwämmchen im Aluminiumhalter und die Knipszange; viele Riemen, viel Leder und Leos unsympathisches Gesicht: ganz rot, ganz sauber, Lieder, die Leo pfiff, und das Radio, das immer spielte. Frauen in Straßenbahneruniform, die in Leos Zimmer lachten und tanzten.
    »Prost!« wurde gerufen.
    Die Frau, die früher mehr als zwei Zentner gewogen hatte und von der das Bild

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