Hawkings neues Universum
erkannte Alan Guth jedoch, würde die Homogenität, Flachheit und fehlenden Monopole verständlich machen – und vieles mehr. Doch was konnte den Raum dazu veranlasst haben, sich exponentiell auszudehnen?
Horror vacui – die Furcht vor dem Leeren
Um die Kosmische Inflation zu verstehen, muss man gleich zwei hartnäckige Vorurteile überwinden: Das Vakuum ist nicht einfach nichts; und Gravitation kann in gewisser Hinsicht auch abstoßend sein. Zunächst sei daher ein „nichtiger“ Umweg gestattet. Denn wer glaubt, von Nichts kommt nichts, muss wissen, dass „Nichts“ auch nicht mehr das ist, was es einmal war, und dass es das ganze beobachte Universum quasi „umsonst“ gab, wie Alan Guth sagte, auch wenn angeblich nichts umsonst ist ...
Das Experiment des Empedokles: Viele antike Denker glaubten, die Natur haben ein „Horror Vacui“, eine Abscheu vor dem Leeren. Dies demonstrierte der Philosoph Empedokles angeblich schon im 5. Jahrhundert v.Chr. mit einem Gefäß namens Klepshydra (Wasserheber), einem Kolben mit perforiertem Boden: Das Experiment zeigt, dass die Luft darin (1) ein Stoff ist, der entweichen muss, bevor Wasser in das Gefäß eindringen kann (2). Hält man dann die Tülle mit dem Finger geschlossen, fließt das Wasser nicht aus der Klepshydra hinaus (3) – sondern erst, wenn Luft nachströmen kann (4). Anscheinend lässt die Natur keinen Leerraum zu.
„Nothing is real“, heißt es in dem Beatles-Song Strawberry Fields Forever von 1967. In seinem Revolutionsdrama Dantons Tod hingegen ließ Georg Büchner 1835 einen Protagonisten feststellen: „Die Schöpfung hat sich so breit gemacht, da ist nichts leer, alles voll Gewimmels.“ Was hier poetisch miteinander kollidiert, war schon zu Beginn der abendländischen Philosophie eine Streitfrage – und ist es, mit veränderten Vorzeichen und wechselnden Triumphen, in der Physik bis heute geblieben. Gibt es irgendwo – oder gab es irgendwann – eine Stelle im Universum oder einen Zustand vor ihm, wo absolut nichts ist beziehungsweise war?
Die Kontroverse begann schon vor 2500 Jahren bei den Vorsokratikern. Damals standen sich die Plenisten und die Atomisten unversöhnlich gegenüber. Erstere, etwa Empedokles, waren überzeugt: „Im All gibt es nirgends einen leeren Raum, noch einen, der übervoll wäre.“ Das war keine bloße Behauptung, sondern ließ sich empirisch begründen, wie Empedokles‘ Beobachtung mit der Klepshydra veranschaulichte, einem Wasserheber. Die Atomisten hingegen glaubten, dass ein Vakuum existiert – wenn auch nicht überall. „In Wirklichkeit gibt es nur die Atome und den leeren Raum“, war Demokrit überzeugt.
Bis weit über das Mittelalter hinaus dominierten die Plenisten mit der besonders von Aristoteles und seinen Schülern propagierten Auffassung, die Natur habe einen „horror vacui“, eine Furcht oder Abscheu vor dem Leeren. 1644 zeigte dann der italienische Physiker Evangelista Torricelli, angeregt von Galileo Galilei, dass es luftleeren Raum gibt: Er erfand das Quecksilberbarometer und erkannte den Raum im abgeschlossenen Teil über der Quecksilbersäule als nahezu leer. Dieser Hohlraum ist unabhängig von Volumen, Form, Länge und Neigung des Quecksilberrohrs und muss ein Vakuum sein, weil Luft weder durch Glas noch durch Quecksilber dringen kann. Davon war freilich nicht jeder überzeugt – so spottete der französische Philosoph René Descartes, ein Vakuum sei allenfalls in Torricellis Kopf anzutreffen.
Weltberühmt wurde auch der Magdeburger Naturwissenschaftler Otto von Guericke, der ein Jahrzehnt später mit der von ihm erfundenen Kolbenvakuumluftpumpe die Luft zwischen zwei Kupferhalbkugeln absaugte (genauer: fast 99 Prozent der Luft). Die Halbkugeln konnten daraufhin von zwei Gespannen aus bis zu zehn Pferden auf beiden Seiten nicht mehr getrennt werden – fielen aber sofort auseinander, als die Luft wieder in das Vakuum zwischen ihnen eingelassen wurde. Dies ist allerdings weniger eine Eigenschaft des Vakuums als vielmehr des Drucks der umgebenden Luft. Doch das Experiment zeigte, dass Stoffe nicht vom Vakuum angesaugt, sondern vom Umgebungsdruck in das Vakuum hineingepresst werden. Im Lauf der nächsten zwei Jahrhunderte wurden die Pumpen so weit verbessert, dass sie einen Restdruck von weniger als einem Tausendstel Millibar erreichten. Sie waren um 1900 weit verbreitet und wurden beispielsweise bei der Herstellung von Glühlampen eingesetzt. Im 20. Jahrhundert wurden dann noch
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