Hawkings neues Universum
Physik-Nobelpreisträger Hendrik Casimir benannter messbarer Effekt: Zwei parallele, Bruchteile eines Millimeters nebeneinander hängende elektrisch leitende Platten ziehen sich geringfügig an. Casimir erklärte das damit, dass zwischen sie nur Feldquanten mit bestimmten Wellenlängen passen, während außerhalb solche mit beliebigen Wellenlängen existieren und somit die Platte zusammendrücken. Die Grafik veranschaulicht das Prinzip: Die drei Quantenschwingungen links sind sowohl innerhalb als auch außerhalb der Platten möglich, die beiden rechts nur im Außenraum.
Die Ursache für den Casimir-Effekt ist das „Brodeln“ des Vakuums. Weil in der Quantenphysik Teilchen zugleich auch Wellen sind, können sich in dem Raum zwischen zwei Platten nur jene Photonen aufhalten, deren Wellenlängen ein ganzzahliger Bruchteil des Abstands der Platten ist. Außerhalb der Platten existieren alle möglichen Wellenlängen und somit viel mehr virtuelle Teilchen. Dieser Überschuss übt eine winzige Kraft aus, die die Platten zusammendrückt. Deshalb ist die Energiedichte zwischen den Platten relativ zur Umgebung negativ. Somit ist nichts, wenn man „nichts“ als ein perfektes Vakuum ohne Teilchen und Strahlung definiert, zum einen doch immer noch „etwas“. Zum anderen gibt es sogar weniger als nichts, denn im Vakuum zwischen den Metallplatten wabert weniger virtuelle Nullpunktstrahlung als außerhalb.
„Der leere Raum der Quantenphysik stimmt zwar netto mit dem leeren Raum unserer Vorstellung überein, aber nicht brutto“, hat es Henning Genz formuliert, der Professor für Theoretische Physik an der Universität Karlsruhe war. Er veranschaulichte es mit einer betriebswirtschaftlichen Analogie: „Vergleichen wir einen armen Schlucker, der weder brutto noch netto etwas besitzt, weil alle seine Konten jederzeit leer sind, mit einem Pumpgenie, dessen Konten insgesamt und immer ebenfalls die Bilanzsumme null ergeben, einzeln aber mal hier, mal dort große positive oder negative Beträge aufweisen. Der leere Raum unserer Vorstellung ist leer wie die Konten des armen Schluckers. Der leere Raum der Physik hingegen gleicht den Konten des Pumpgenies.“
Aber die Nullpunktstrahlung ist nicht die einzige Zutat des Vakuums. Es muss noch andere Felder geben, meinen Physiker und Kosmologen. Eines ist das Higgsfeld, das Peter Ward Higgs von der University of Edinburgh schon 1964 postuliert hat, um die Massen der Elementarteilchen zu erklären. Diese wechselwirken mit ihm und gewinnen erst dadurch die Schwernis des Daseins, so die weithin akzeptierte Vorstellung. Der Large Hadron Collider am Europäischen Kernforschungszentrum CERN bei Genf soll das Higgsfeld demnächst nachweisen – das wäre ein weiterer nobelpreiswürdiger Triumph für die Theoretische Physik.
Und noch andere Felder sind in der Diskussion. So ist in den letzten Jahren deutlich geworden, dass eine mysteriöse Dunkle Energie die Ausdehnung des Universums seit mindestens fünf Milliarden Jahren beschleunigt. Was sich dahinter verbirgt – Albert Einsteins ominöse Kosmologische Konstante ist noch die konservativste Annahme – gehört zu den größten Rätseln der gegenwärtigen Physik.
Fest steht jedenfalls, dass das (echte) Vakuum nicht „nichts“ ist, sondern nur der energieärmste physikalische Grundzustand. Er könnte in anderen, weit entfernten Bereichen des Alls – oder in anderen Universen – freilich anders sein. Und vor allem scheint er früher anders gewesen zu sein: Kosmologen sprechen von einem „falschen Vakuum“. Dieses hat den ersten Moment unseres Universums geprägt und den Weltraum durch eine exponentielle Ausdehnung überhaupt erst groß gemacht.
(Mehr als) Alles aus fast nichts
„Kannst du von nichts keinen Gebrauch machen, Gevatter? – Ei nein, Söhnchen, aus nichts wird nichts“, hat William Shakespeare 1605 in seiner Tragödie King Lear eine Aussage zusammengefasst, die als Allerweltsweisheit und metaphysischer Lehrsatz gleichermaßen verbreitet ist: Von nichts kommt nichts. Entsprechend irritierend klingt es, wenn Alan Guth und andere Kosmologen behaupten, dass alles – oder zumindest unser Universum – aus dem Nichts kam. Aber dieses „Nichts“, das Vakuum, ist eben doch etwas! Und Vakuum ist nicht gleich Vakuum. Mehr noch: Das Vakuum ist auch nicht mehr, was es einmal war.
Hinter diesen scheinbar flapsigen Bonmots stehen gewichtige Erkenntnisse der Theoretischen Physik. Denn in einem Vakuum kann eine beträchtliche Menge
Weitere Kostenlose Bücher