Hawkings neues Universum
Schüler ein Kapitel eines Buchs über statistische Physik durcharbeiten und zwei Aufgaben lösen. „Am Ende der Woche hatte er keine der Aufgaben gelöst, sondern nur Fehler im Buch angekreuzt. Er legte es mir vor, und wir führten eine kurze Diskussion über das Thema, wobei sich herausstellte, dass er mehr darüber wusste als ich.“ Ähnlich urteilte ein anderer Tutor, Robert Berman: „Er war ohne Zweifel der begabteste Student, den ich jemals hatte. Ich bilde mir nicht ein, ihm irgendetwas beigebracht zu haben.“ Derek Powney, einer von Hawkings Kommilitonen, schilderte folgendes Erlebnis: „Wir sollten ein Kapitel in einem Buch namens Electricity and Magnetism lesen. Am Ende folgten 13 Fragen – alles Fragen aus dem Abschlussexamen. Unser Tutor Bobby Berman sagte: ‚Beantwortet so viele, wie ihr könnt.‘ Also versuchten wir es, und mir wurde sehr bald klar, dass ich keine einzige beantworten konnte. Richard war mein Partner in dem Tutorenkurs. Wir arbeiteten eine Woche zusammen, und es gelang uns mit vereinten Kräften, anderthalb Fragen zu bewältigen, worauf wir sehr stolz waren. Gordon wollte keine Hilfe und schaffte eine Frage aus eigener Kraft. Stephen hatte, wie immer, noch nicht begonnen. Also erklärten wir ihm: ‚So geht das nicht, Hawking, du musst morgen zum Frühstück aufstehen.‘ Das wäre an sich schon ein Ereignis gewesen, weil er normalerweise nie zum Frühstück aufstand. Er schaute uns nachdenklich an, und am nächsten Morgen stand er tatsächlich auf. Wir machten uns brav auf den Weg zu unseren drei Morgenvorlesungen, während Stephen zurückblieb. Er ging um neun auf sein Zimmer. Wir kehrten gegen zwölf zurück, und Stephen kam zu uns herunter. ‚Ah, Hawking‘, sagte ich. ‚Wie viele hast du denn geschafft?‘ ‚Na ja‘, sagte er, ‚die Zeit hat nur für die ersten zehn gereicht.‘ Wir brachen in Gelächter aus, das uns aber auf den Lippen gefror, weil er uns so fragend anblickte. Uns wurde plötzlich klar, dass er die Aufgaben tatsächlich geschafft hatte – die ersten zehn. Ich glaube, da begriffen wir, dass er von einem anderen Stern war.“
Am Ende des dritten Jahres gab es die viertägige Abschlussprüfung. Hawking hielt sich an die Aufgaben in Theoretischer Physik, wo es am wenigsten auf Faktenwissen ankam. „Ich schnitt nicht besonders gut ab – zwischen Eins und Zwei. Also wurde ich noch einmal zu einem Gespräch gebeten, in dem endgültig über die Examensnote entschieden werden sollte. Sie fragten mich nach meinen Zukunftsplänen. Ich sagte, ich wolle in die Forschung gehen. Wenn sie mir eine Eins gäben, würde ich nach Cambridge gehen, wenn ich eine Zwei erhielte, würde ich in Oxford bleiben. Sie gaben mir eine Eins.“
Schock: Das Todesurteil
1961, in seinem dritten Jahr an der Oxford University, bemerkte Hawking, dass er immer ungelenker wurde. Mehrfach stürzte er ohne Grund und konnte nicht mehr richtig rudern. Dann kamen auch Artikulationsprobleme hinzu. Er spürte, dass etwas nicht in Ordnung war, vertraute sich allerdings nicht einmal seiner Familie an, sondern behielt seine Sorgen für sich. Im Sommer 1962, nach dem Abschlussexamen, reiste er mit einem Kommilitonen in den Iran, wo er schwer erkrankte. Seine Bewegungsstörungen wurden danach schlimmer. Im darauffolgenden Winter rutschte er beim Schlittschuhlaufen bei St. Albans aus und konnte nicht mehr selbstständig aufstehen. Kurz nach seinem 21. Geburtstag ging er deshalb ins Krankenhaus, um sich untersuchen zu lassen. „Sie entnahmen meinem Arm eine Muskelprobe, pflanzten mir Elektroden ein, injizierten ein Kontrastmittel in meine Wirbelsäule und beobachteten seine Bewegungen auf dem Röntgenschirm, während sie das Bett kippten. Man diagnostizierte bei mir ALS: Amyotrophe Lateralsklerose.“
ALS ist eine irreversible Degeneration der motorischen Neuronen von Gehirn und Rückenmark und des peripheren Nervensystems. Das Absterben dieser Nervenzellen, die die Muskeln steuern, führt meistens zwei bis fünf Jahre nach dem Beginn der Symptome zur vollständigen Lähmung und dann zum Tod durch Ersticken, wenn auch die Atemmuskulatur versagt. Zuvor kommt es zu Nervenschmerzen, oft auch zu Depression und Schlaflosigkeit. 20 bis 50 Prozent der Patienten haben außerdem kognitive Beeinträchtigungen. Lungenentzündungen sind ebenfalls häufig, auch als Todesursache, da die Muskelschwäche zu einer schlechten Belüftung führt und das Schlucken beeinträchtigt ist; außerdem geraten Speisereste in
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