Heidi und andere klassische Kindergeschichten
machte, zwei Kissen und eine Decke, die wollte es dem kranken Urschli bringen. »Du sagst, ich soll nur daheim bleiben, Stineli«, sagte er mit gefalteter Stirne; »aber siehst du, mir ist es gerade so, wie wenn ich nicht wüßte, wo ich daheim bin.«
»Ach, was sagst du«, rief Stineli und warf vor Erstaunen eine ganze Hand voll Moos weg. »Hier bist du daheim, natürlich. Da ist man immer daheim, wo man seinen Vater und seine Mutter –«; hier hielt es plötzlich inne: Rico hatte ja gar keine Mutter, und der Vater war schon so lang wieder fort, und die Base? – Stineli kam der Base nie zu nah, sie hatte ihm nie ein gutes Wort gegeben; es wußte gar nicht mehr, was sagen. Aber Stineli konnte in einem so unsicheren Zustande nicht lange bleiben. Rico hatte wieder zu staunen angefangen; auf einmal faßte es ihn am Arm und rief:
»Nun möchte ich doch etwas wissen, wie heißt der See, wo es so schön ist?«
Rico besann sich. »Ich weiß es nicht«, sagte er, selbst verwundert darüber.
Da schlug Stineli vor, sie wollten jemand fragen, wie er heißen könne; denn wenn Rico doch einmal viel Geld hätte und gehen könnte, so müßte er ja den Weg erfragen und einen Namen wissen. Nun fingen sie an zu beraten, wen man fragen könnte; den Lehrer oder die Großmutter. Da fiel es Rico ein, der Vater werde es am besten wissen; den wollte er fragen, sobald er heimkomme.
Unterdessen war die Zeit vergangen und auf einmal hörten die Kinder ganz in der Ferne ein leises Läuten. Sie kannten den Ton, es war die Betglocke. Sie sprangen gleich beide vom Boden auf und rannten miteinander Hand in Hand durch Gestrüpp und Schnee die Halde hinunter und über die Wiese hin, und es hatte noch nicht lange verläutet, so standen sie schon an der Tür, wo die Großmutter nach ihnen aussah.
Stineli mußte nun gleich ins Haus hinein, und die Großmutter sagte nur schnell: »Geh du auch gleich hinein, Rico, und bleib nicht mehr stehen vor der Tür.«
Das hatte die Großmutter noch nie zu ihm gesagt, obschon er es immer tat, denn es gelüstete ihm nie, in das Haus hineinzugehen, und er stand immer erst eine Zeitlang vor der Haustür, ehe er’s tat. Er gehorchte aber der Großmutter aufs Wort und ging gleich hinein.
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Fünftes Kapitel.
Ein trauriges Haus, aber der See hat einen Namen.
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Die Base war nicht in der Stube, so ging er wieder hinaus und machte die Küchentür auf. Da stand sie; aber ehe er nur eintreten konnte, hob sie den Finger in die Höh’ und machte: »Bst! Bst! Mach nicht alle Türen auf und zu und einen Lärm, als kämen ihrer vier. Geh in die Stube hinein und halte dich still. Der Vater liegt oben in der Kammer; sie haben ihn auf einem Wagen gebracht, er ist krank.«
Rico ging hinein und setzte sich auf die Bank an der Wand und bewegte sich nicht. So saß er eine gute halbe Stunde lang; die Base fuhr noch immer in der Küche herum. Da dachte Rico, er wolle ganz leise in die Kammer hineinschauen, vielleicht wollte der Vater auch etwas zu Abend essen, es war schon lange Zeit dazu.
Er schlich hinter dem Ofen die kleine Treppe hinauf und kroch in die Kammer hinein. Nach einiger Zeit kam er wieder und ging gleich in die Küche hinaus und bis nahe zur Base heran. Dann sagte er leise: »Base, kommt!«
Diese wollte ihn eben tüchtig anfahren, als ihre Blicke auf sein Gesicht fielen: es war völlig ohne Farbe, Wangen und Lippen weiß wie ein Tuch, und aus den Augen schaute er so schwarz, daß ihn die Base fast fürchtete.
»Was hast du?« fragte sie hastig und folgte ihm unwillkürlich.
Er ging leise das Treppchen hinauf und in die Kammer hinein. Da lag der Vater mit starren Augen auf seinem Bett; er war tot.
»Ach, du mein Gott«, schrie die Base und lief mit Lärm zur Tür hinaus, die auf der anderen Seite auf den Gang führte, die Treppe hinunter und gleich hinüber in die Stube hinein und rief, der Nachbar und die Großmutter sollten herüberkommen, und von da lief sie zum Lehrer und zum Gemeindevorsteher.
So kam eins ums andere und trat in die stille Kammer hinein, bis sie voll von Menschen war, denn einer hörte draußen vom anderen, was geschehen sei. Und mitten in dem Gewimmel und den vielen klaghaften Worten von all’ den Nachbarn stand Rico an dem Bette, lautlos und unbeweglich, und schaute den Vater an. – Die ganze Woche durch kamen täglich noch Leute ins Haus, die den Vater ansehen und von der Base hören wollten, wie alles zugegangen sei, so daß es Rico ein Mal über das andere erzählen hörte:
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