Heidi und andere klassische Kindergeschichten
ausgesöhnt mit Gott und den Menschen.”
Der Alm-Öhi gab dem Herrn Pfarrer die Hand und sagte fest und bestimmt: “Der Herr Pfarrer meint es recht mit mir; aber was er erwartet, das tu ich nicht, ich sag es sicher und ohne Wandel: Das Kind schick ich nicht, und herunter komm ich nicht.”
“So helf Euch Gott!”, sagte der Herr Pfarrer und ging traurig zur
Tür hinaus und den Berg hinunter.
Der Alm-Öhi war verstimmt. Als Heidi am Nachmittag sagte: “Jetzt wollen wir zur Großmutter”, erwiderte er kurz: “Heut nicht.” Den ganzen Tag sprach er nicht mehr, und am folgenden Morgen, als Heidi fragte: “Gehen wir heut zur Großmutter?”, war er noch gleich kurz von Worten wie im Ton und sagte nur: “Wollen sehen.” Aber noch bevor die Schüsselchen vom Mittagessen weggestellt waren, trat schon wieder ein Besuch zur Tür herein, es war die Base Dete. Sie hatte einen schönen Hut auf dem Kopf mit einer Feder darauf und ein Kleid, das alles mitfegte, was am Boden lag, und in der Sennhütte lag da allerlei, das nicht an ein Kleid gehörte. Der Öhi schaute sie an von oben bis unten und sagte kein Wort. Aber die Base Dete hatte im Sinn, ein sehr freundliches Gespräch zu führen, denn sie fing an zu rühmen und sagte, das Heidi sehe so gut aus, sie habe es fast nicht mehr gekannt und man könne schon sehen, dass es ihm nicht schlecht gegangen sei beim Großvater. Sie habe aber gewiss auch immer darauf gedacht, es ihm wieder abzunehmen, denn sie habe ja schon begreifen können, dass ihm das Kleine im Weg sein müsse, aber in jenem Augenblick habe sie es ja nirgends sonst hintun können; seitdem aber habe sie Tag und Nacht nachgesonnen, wo sie das Kind etwa unterbringen könnte, und deswegen komme sie auch heute, denn auf einmal habe sie etwas vernommen, da könne das Heidi zu einem solchen Glück kommen, dass sie es gar nicht habe glauben wollen. Dann sei sie aber auf der Stelle der Sache nachgegangen, und nun könne sie sagen, es sei alles so gut wie in Richtigkeit, das Heidi komme zu einem Glück wie unter Hunderttausenden nicht eines. Furchtbar reiche Verwandte von ihrer Herrschaft, die fast im schönsten Haus in ganz Frankfurt wohnen, die haben ein einziges Töchterlein, das müsse immer im Rollstuhl sitzen, denn es sei auf einer Seite lahm und sonst nicht gesund, und so sei es fast immer allein und müsse auch allen Unterricht allein nehmen bei einem Lehrer, und das sei ihm so langweilig, und auch sonst hätte es gern eine Gespielin im Haus, und da haben sie so davon geredet bei ihrer Herrschaft, und wenn man nur so ein Kind finden könnte, wie die Dame beschrieb, die in dem Haus die Wirtschaft führte, denn ihre Herrschaft habe viel Mitgefühl und möchte dem kranken Töchterlein eine gute Gespielin gönnen. Die Wirtschaftsdame hatte nun gesagt, sie wolle so ein recht unverdorbenes, so ein eigenartiges, das nicht sei wie alle, die man so alle Tage sehe. Da habe sie selbst denn auf der Stelle an das Heidi gedacht und sei gleich hingelaufen und habe der Dame alles so beschrieben vom Heidi und so von seinem Charakter, und die Dame habe sogleich zugesagt. Nun könne gar kein Mensch wissen, was dem Heidi alles an Glück und Wohlfahrt bevorstehe, denn wenn es dann einmal dort sei und die Leute es gern mögen und es etwa mit dem eigenen Töchterchen etwas geben sollte— man könne ja nie wissen, es sei doch so schwächlich—, und wenn eben die Leute doch nicht ohne ein Kind bleiben wollten, so könnte ja das unerhörteste Glück—
“Bist du bald fertig?”, unterbrach hier der Öhi, der bis dahin kein
Wort dazwischengeredet hatte.
“Pah”, gab die Dete zurück und warf den Kopf auf, “Ihr tut gerade, wie wenn ich Euch das ordinärste Zeug gesagt hätte, und ist doch durchs ganze Prättigau auf und ab nicht einer, der nicht Gott im Himmel dankte, wenn ich ihm die Nachricht brächte, die ich Euch gebracht habe.”
“Bring sie, wem du willst, ich will nichts davon”, sagte der Öhi trocken.
Aber jetzt fuhr die Dete auf wie eine Rakete und rief: “Ja, wenn Ihr es so meint, dann will ich Euch denn schon auch sagen, wie ich es meine: Das Kind ist jetzt acht Jahre alt und kann nichts und weiß nichts, und Ihr wollt es nichts lernen lassen; Ihr wollt es in keine Schule und in keine Kirche schicken, das haben sie mir gesagt unten im Dörfli, und es ist meiner einzigen Schwester Kind; ich hab es zu verantworten, wie’s mit ihm geht, und wenn ein Kind ein Glück erlangen kann wie jetzt das Heidi, so kann ihm
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