Heidi und andere klassische Kindergeschichten
Welchen Namen hast du in der Taufe erhalten?”, fragte Fräulein Rottenmeier weiter.
“Das weiß ich jetzt nicht mehr”, entgegnete Heidi.
“Ist das eine Antwort!”, bemerkte die Dame mit Kopfschütteln.
“Jungfer Dete, ist das Kind einfältig oder schnippisch?”
“Mit Erlaubnis und wenn es die Dame gestattet, so will ich gern reden für das Kind, denn es ist sehr unerfahren”, sagte die Dete, nachdem sie dem Heidi heimlich einen kleinen Stoß gegeben hatte für die unpassende Antwort. “Es ist aber nicht einfältig und auch nicht schnippisch, davon weiß es gar nichts; es meint alles so, wie es redet. Aber es ist heut zum ersten Mal in einem Herrenhaus und kennt die gute Manier nicht; aber es ist willig und nicht ungelehrig, wenn die Dame wollte gütige Nachsicht haben. Es ist Adelheid getauft worden, wie seine Mutter, meine Schwester selig.”
“Nun wohl, dies ist doch ein Name, den man sagen kann”, bemerkte Fräulein Rottenmeier. “Aber, Jungfer Dete, ich muss Ihnen doch sagen, dass mir das Kind für sein Alter sonderbar vorkommt. Ich habe Ihnen mitgeteilt, die Gespielin für Fräulein Klara müsste in ihrem Alter sein, um denselben Unterricht mit ihr zu verfolgen und überhaupt ihre Beschäftigungen zu teilen. Fräulein Klara hat das zwölfte Jahr zurückgelegt; wie alt ist das Kind?”
“Mit Erlaubnis der Dame”, fing die Dete wieder beredt an, “es war mir eben selber nicht mehr so ganz gegenwärtig, wie alt es sei; es ist wirklich ein wenig jünger, viel trifft es nicht an, ich kann’s so ganz genau nicht sagen, es wird so um das zehnte Jahr, oder so noch etwas dazu sein, nehm ich an.”
“Jetzt bin ich acht, der Großvater hat’s gesagt”, erklärte Heidi. Die Base stieß es wieder an, aber Heidi hatte keine Ahnung, warum, und wurde keineswegs verlegen.
“Was, erst acht Jahre alt?”, rief Fräulein Rottenmeier mit einiger
Entrüstung aus. “Vier Jahre zu wenig! Was soll das geben! Und
was hast du denn gelernt? Was hast du für Bücher gehabt bei deinem
Unterricht?”
“Keine”, sagte Heidi.
“Wie? Was? Wie hast du denn lesen gelernt?”, fragte die Dame weiter.
“Das hab ich nicht gelernt und der Peter auch nicht”, berichtete
Heidi.
“Barmherzigkeit! Du kannst nicht lesen? Du kannst wirklich nicht lesen!”, rief Fräulein Rottenmeier im höchsten Schrecken aus. “Ist es die Möglichkeit, nicht lesen! Was hast du denn aber gelernt?”
“Nichts”, sagte Heidi der Wahrheit gemäß.
“Jungfer Dete”, sagte Fräulein Rottenmeier nach einigen Minuten, in denen sie nach Fassung rang, “es ist alles nicht nach Abrede, wie konnten Sie mir dieses Wesen zuführen?” Aber die Dete ließ sich nicht so bald einschüchtern; sie antwortete herzhaft: “Mit Erlaubnis der Dame, das Kind ist gerade, was ich dachte, dass sie haben wolle; die Dame hat mir beschrieben, wie es sein müsse, so ganz apart und nicht wie die anderen, und so musste ich das Kleine nehmen, denn die Größeren sind bei uns dann nicht mehr so apart, und ich dachte, dieses passe wie gemacht auf die Beschreibung. Jetzt muss ich aber gehen, denn meine Herrschaft erwartet mich; ich will, wenn’s meine Herrschaft erlaubt, bald wieder kommen und nachsehen, wie es geht mit ihm.” Mit einem Knicks war die Dete zur Tür hinaus und die Treppe hinunter mit schnellen Schritten. Fräulein Rottenmeier stand einen Augenblick noch da, dann lief sie der Dete nach; es war ihr wohl in den Sinn gekommen, dass sie noch eine Menge von Dingen mit der Base besprechen wollte, wenn das Kind wirklich dableiben sollte, und da war es doch nun einmal und, wie sie bemerkte, hatte die Base fest im Sinn, es dazulassen.
Heidi stand noch auf demselben Platz an der Tür, wo es von Anfang an gestanden hatte. Bis dahin hatte Klara von ihrem Sessel aus schweigend allem zugesehen. Jetzt winkte sie Heidi: “Komm hierher!”
Heidi trat an den Rollstuhl heran.
“Willst du lieber Heidi heißen oder Adelheid?”, fragte Klara.
“Ich heiße nur Heidi und sonst nichts”, war Heidis Antwort.
“So will ich dich immer so nennen”, sagte Klara; “der Name gefällt mir für dich, ich habe ihn aber nie gehört, ich habe aber auch nie ein Kind gesehen, das so aussieht wie du. Hast du immer nur so kurzes, krauses Haar gehabt?”
“Ja, ich denk’s”, gab Heidi zur Antwort.
“Bist du gern nach Frankfurt gekommen?”, fragte Klara weiter.
“Nein, aber morgen geh ich dann wieder heim und bringe der
Großmutter weiße Brötchen!”, erklärte
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