Heidi
vor Klara hin, damit Fräulein Rottenmeier die Kätzchen nicht bemerkte.
„Hat es dir die Sprache verschlagen?“, fuhr diese sie an. „Antworte! Sofort!“
„Miau“, machte eines der Kätzchen.
„Wie bitte?“, rief Fräulein Rottenmeier erbost.
„Miau! Miau!“ Das rote Kätzchen sprang von Klaras Schoß auf den Boden hinunter und strich um Fräulein Rottenmeiers Beine.
Die stieß einen Schrei aus.
„Sebastian!“, rief sie mit greller Stimme.
„Bring dieses schreckliche Tier fort
und das Kind gleich mit dazu.“
Ein kleines Wunder
Am nächsten Morgen versicherte Sebastian Heidi und Klara, dass er die Kätzchen bei einem Freund untergebracht hätte, bei dem sie es sehr gut hätten. Dennoch waren die Kinder untröstlich. Außerdem schaute Fräulein Rottenmeier noch strenger drein als sonst und scheuchte das Dienstpersonal durchs ganze Haus. „Das macht sie immer, wenn mein Vater sich angekündigt hat“, erzählte Klara. „Sie gibt keine Ruhe, bis alles glänzt und blinkt. Dabei ist Papa das gar nicht so wichtig. Ich bin sicher, er hätte uns erlaubt, die Katzen zu behalten.“
Herr Sesemann war oftmals viele Tage oder sogar Wochen auf Geschäftsreisen, und Heidi freute sich mit Klara, dass er nun endlich wieder nach Hause kam.
„Dir wird das Lachen schon noch vergehen, Adelheid“, sagte Fräulein Rottenmeier streng. „Herrn Sesemann gefällt es sicher ganz und gar nicht, dass du noch immer nicht lesen und schreiben kannst. Wenn du hier in Frankfurt bleiben willst, ist es unerlässlich, dass du diese Dinge lernst. Und nicht nur diese“, fügte sie mit einem lang gezogenen Seufzer hinzu.
„Ich bleibe nicht in Frankfurt“, sagte Heidi.
„Wie bitte?“,
stieß Fräulein Rottenmeier aus.
„Ich will heim auf die Alm“, beharrte Heidi.
„Zum Großvater und zu den Geißen.“
Fräulein Rottenmeier schnappte vor Empörung nach Luft und drohte, Heidi im Keller einzusperren, wenn sie noch einmal fortliefe oder weiterhin einen solchen Unsinn redete.
Heidi schossen die Tränen in die Augen. Doch zum Glück hatte Klara alles mitangehört. „Das dürfen Sie nicht tun!“, rief sie. „Ich werde alles meinem Vater erzählen.“
„Bitte tu das!“, erwiderte Fräulein Rottenmeier aufgebracht. „Selbstverständlich werde ich ebenfalls mit Herrn Sesemann sprechen.“
Bis zur Ankunft von Klaras Vater musste Heidi in ihrem Zimmer bleiben. Um sich die Zeit zu vertreiben, öffnete sie den Kleiderschrank. Sie wollte nachzählen, wie viele Brötchen sie bereits gesammelt hatte.
Doch – oh Schreck!
Es war kein einziges Brötchen mehr da.
Die Zofe musste sie gefunden
und fortgeschafft haben.
Heidi war völlig außer sich und fing gleich wieder zu weinen an. Wie ein Häufchen Elend hockte sie auf dem Teppich vor dem Schrank und schluchzte zum Gotterbarmen. Und so fand sie auch Herr Sesemann vor, als er nach seiner Ankunft am Abend in ihr Zimmer trat.
„Du lieber Himmel!“, sagte er, drückte die Tür hinter sich zu und kniete sich neben Heidi auf den Boden. „Was ist denn nur passiert?“, fragte er sanft. „War das Fräulein Rottenmeier vielleicht gar zu streng mit dir?“ Beschämt blickte Heidi auf und sah in ein paar warmherzige blaue Augen. „Die Brötchen für die Großmutter! “, rief sie aus und ließ sich in Herrn Sesemanns Arme fallen. „Sie sind verschwunden. Aber sie braucht sie doch, weil sie das harte Brot nicht beißen kann.“ „Moment mal“, sagte Herr Sesemann. Er strich Heidi übers Haar und gab ihr ein weißes Taschentuch, mit dem sie sich die Tränen trocknen konnte.
„Das musst du mir ganz genau erzählen.“
Und das tat Heidi dann auch.
Sie erzählte von der Großmutter,
der klapprigen Hütte, in der sie wohnte,
dem Großvater und dem Geißenpeter.
Klaras Vater hörte ihr aufmerksam zu und fand immer wieder tröstende Worte für Heidis Kummer. „Wusstest du eigentlich, dass die Klara auch eine Großmutter hat?“, fragte er. Heidi schüttelte den Kopf. Klara hatte ihr nie von ihr erzählt. „Dann verrate ich dir jetzt ein Geheimnis“, fuhr Herr Sesemann fort. „Sie kommt morgen zu einem Überraschungsbesuch.“ Er zwinkerte Heidi zu. „Aber bitte verrate Klara nichts davon.“
Heidi versprach es hoch und heilig und tatsächlich kam kein Wort über ihre Lippen. Trotzdem blieb das Geheimnis kein Geheimnis, weil Fräulein Rottenmeier einen Riesenwirbel veranstaltete, um das Gästezimmer herrichten zu lassen.
„Es gehört sich nicht, dass
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