Heimkehr
Spinnen getötet. Ich habe Fische getötet, als ich nicht viel älter war als du. Dabei war jedes dieser Tiere ein unzerstörbarer Ausdruck von Leben, und das wird mich solange bedrücken und grämen, bis ich mir klargemacht habe, wie es in Wirklichkeit ist.«
Er wählte seine Worte mit Bedacht. »Hast du in der Welt der Erscheinungen auch einen Menschen getötet?«
»Nein, Dickie.« Dank des glänzenden Timings, dachte ich insgeheim. Wäre ich ein paar Jahre früher zur Air Force gegangen, hätte ich Menschen in Korea getötet. Und wäre es ein paar Jahre später gewesen, hätte ich sie in Vietnam getötet, ich wäre damals gar nicht auf die Idee gekommen, einen Befehl zu verweigern.
»Bist du je getötet worden?«
»Nie. Bevor die Zeit geboren wurde, gab es mich schon, und wenn die Zeit aufgehört hat zu existieren, wird es mich immer noch geben.«
Wütend knurrte er: »Hat in der Welt der Erscheinungen dein Selbstvertrauen als beschränktes Wesen…«
»Ach, diese Welt!« rief ich aus. »In der bin ich millionen- und milliardenfach getötet worden!«
Dickie kletterte die Leiter zum Höhenleitwerk hinauf, spazierte wenige Meter vom Seitenruder entfernt dort herum und setzte sich mit übereinandergeschlagenen Beinen hin. Er sah mich neugierig an. Kein anderes Kind hätte dort oben sitzen dürfen. Seine Turnschuhe könnten ja die Lackschicht beschädigen, oder das Leitwerk könnte zu stark belastet werden, oder er könnte aus fünf Fuß Höhe auf den Betonboden herabstürzen. Aber Dickie durfte sitzen, wo er wollte. Das sind die Freuden der Deinkarnierten, dachte ich. Es ist ein Wunder, daß wir sie nicht öfter einladen.
»Das ist die Reinkarnation«, sagte er. »Glaubst du daran?«
Ich besprühte die Oberseite des Ruders mit flüssigem Wachs und rieb sie sauber.
»Nein. Betrifft die Reinkarnation nicht zahlreiche Leben auf unserem Planeten, und zwar eines nach dem anderen? Sie wäre sonst etwas beschränkt.«
»Was gefällt dir besser?«
»Ich glaube an eine unendliche Zahl verschiedener Varianten des Glaubens an Lebenserfahrungen, einige davon in Gestalt von Körpern, andere nicht; einige auf Planeten, andere nicht; alle gleichzeitig, da es so etwas wie Zeit nicht gibt, und keine real, da es nur ein einziges Leben gibt.«
Er runzelte die Stirn. »Warum sind die Erfahrungen-des-unendlichen-Lebens wahr und nicht die Reinkarnation?«
Ich entsinne mich, daß das vor langer Zeit meine Lieblingsfrage gewesen ist: Warum so und nicht so? Sie machte viele Erwachsene wahnsinnig, aber ich wollte Bescheid wissen.
»Die Erfahrungen-des-unendlichen-Lebens sind genausowenig wahr oder unwahr wie die Reinkarnation«, sagte ich. »Erst wenn wir erkennen: Das Leben existiert und nicht einfach an die Reinkarnation oder an die Erfahrungen-des-unendlichen-Lebens oder an Himmel und Hölle oder an Es-wird-schon-schiefgehen glauben, erleben wir diese Systeme… in jeder Minute, in der wir ihnen Macht geben, sind sie wahr für uns.«
»Dann verstehe ich eins nicht. Warum sagst du nicht einfach: Das Leben existiert und hörst auf zu spielen?«
»Ich liebe Spiele! Wenn jemand bezweifelt, daß dieses Leben zum Spaß da ist, dann setze sie oder ihn einfach mal detailliert über ihre persönliche Zukunft ins Bild… über jedes Ereignis und über jedes Ende, lange bevor sie eintreten. Wann werden sie dich wohl anflehen, damit aufzuhören? Es ist kein Spaß zu wissen, was als nächstes passiert. Ich liebe Schach, auch wenn ich weiß, daß es ein Spiel ist. Ich liebe die Raumzeit, auch wenn sie nicht real ist.«
»Hilfe!« rief er. »Wenn weder das eine noch das andere real ist, wieso soll man dann die Erfahrungen-des-unendlichen-Lebens anstatt des Alle-werden-zu-Engeln oder der Reinkarnation wählen?«
»Warum Schach und nicht Dame?« konterte ich. »Man kann mehr Kombinationen spielen! Wenn zum Beispiel alle meine Varianten von Glauben-an-Leben zur gleichen Zeit existieren, muß es für sie irgendeine Möglichkeit geben, sich in Gestalt einer Person zu treffen. Dann muß es irgendwie möglich sein, Richard zu finden, der China in dem Jetzt gewählt hat, das ich siebentausend Jahre zuvor nenne, oder jenen Mann, der 1954 Schiffsbauer wurde und nicht Pilot, oder jene Person, die lieber ein Proximid sein wollte und sich für ein Leben in den Raumflotten von Centauri 4 entschied, in einem Jetzt, das in einer Milliarde Jahren stattfindet. Wenn die ganze Zeit Jetzt ist, dann müßte es eine Möglichkeit geben, daß wir alle
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