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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ADMIN JR.
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mit einem schrägen Blick in die Augen, suchen sich gegenseitig die Sünde vom Gesicht zu lesen.
    Denn sie wissen jetzt, was sie voneinander zu halten haben.
    ***
    Das Frühstück steht im Zeichen der Abfahrt und hat heute noch eine besondere Bedeutung: Der Höhepunkt der Reise ist überschritten, das weiteste Ziel erreicht, von nun ab geht es, zwar langsam und in Stufen, aber unerbittlich wieder heimwärts, nordwärts, weg von der südlichen Sonne. Eine sanfte Wehmut mischt sich in den fröhlichen Lärm; man läßt sie nicht aufkommen, hat auch noch tausend eilige Sorgen und Fragen, die alle beim Reiseleiter landen.
    Sie verdichten sich, als man um den Autobus herumsteht, der blankpoliert aus seiner Stallruhe hervorgeholt ist; er funkelt in der Morgensonne und steht zitternd und tatendurstig; es geht wieder auf große Fahrt. Inzwischen prasselt es von allen Seiten: Herr Reiseleiter, was glauben Sie, ob ich mit dem Panama durch den Zoll komme? – Um Gottes willen, Herr Reiseleiter, ich habe meine Sonnenbrille auf dem Zimmer gelassen, entweder in der Schublade oder vielleicht auf dem Tisch. – Herr Reiseleiter, haben Sie dem Chauffeur gesagt, daß er meine Hutschachtel nicht werfen darf, da sind Glassachen drin. – Herr Reiseleiter, ist das wahr, daß der letzte Doge in seinem Testament –? Herr Reiseleiter, kann ich vielleicht –? Herr Reiseleiter – Herr Reiseleiter! Es wimmelt und quirlt durcheinander wie bei der Abfahrt am ersten Tag, aber heute gibt man sich keine Mühe mehr, man zeigt sich, wie man ist.
    Paula hat Herrn Platte zärtlich eingehakt: »Karl, hast du auch alles?« – »Aber Pummelchen, nicht so laut!« – »Wieso, das kann doch jeder hören. Du hast auch die Karte immer noch nicht unterschrieben, die an Mama.« Die Studienrätin hat einen Kreis um sich und zählt auf, was man sich eigentlich alles noch hätte ansehen müssen. »Es ist schön, wenn unerfüllte Wünsche bleiben«, belehrt der Stille. Mengwasser, strahlender denn je, überreicht seiner Frau einen dicken, frisch betauten Veilchenstrauß und erntet Undank. »Was ist los mit dir, Gustav, du hast wohl wieder ein schlechtes Gewissen?« – »Leider nein«, sagt Mengwasser und rückt sich die Krawatte zurecht. Das Hochzeitspärchen sitzt bereits im Autobus und macht einen leicht abgekühlten Eindruck; man kann sogar mit ihm sprechen. Worüber aber alle ihre kindliche Freude haben, das sind die bunten Zettelchen, mit denen die Hotels im Laufe der Reise die Koffer und Köfferchen beklebt haben, und heute ist der wichtigste und schönste hinzugekommen; jetzt kann jeder sehen, wo man überall war und wie vornehm man gewohnt hat. Nur der Missvergnügte beschwert sich: er sei doch nicht verrückt, das wäre nur Reklame für die Hotels, und er dächte nicht daran, sich seinen Koffer verschmieren zu lassen.
    Der Reiseleiter hört nur mit einem halben Ohr und hat für alles auch nur ein halbes Auge. In der Hauptsache bekümmert er sich um Frau Delius, die heute ihn und die ganze Welt mit einem liebenswürdigen Lächeln beschenkt. Er sieht nicht, daß es ein gefrorenes Lächeln ist; er lächelt zurück und bemüht sich um ihren Schirm, ihren Hund, um ihren Platz, ihren Schal und ihr Reisekissen. Er bemerkt nicht einmal, daß er damit das Mißfallen der Gesellschaft erregt, das sich übrigens nicht so sehr gegen ihn richtet, als vielmehr gegen die junge Frau, die sich so auffallend bevorzugen läßt. Der Reiseleiter gehört allen gemeinsam.
    Das wesentliche Ereignis bei der Abfahrt aber ist Fräulein Li; sie ist plötzlich am Autobus aufgetaucht und begrüßt Doktor Delius, der mit einem dumpfen, unbeteiligten Gesicht herumsteht: »Guten Morgen, lieber Doktor, schon so früh auf den Beinen, haben Sie gut geschlafen, wie geht es Ihnen, wollen Sie wirklich schon abfahren?«
    »Ich muß.«
    »Warum müssen Sie, zwingt Sie jemand?«
    Delius denkt einen Augenblick nach. »Was würde geschehen, wenn ich – wenn ich hier bleiben würde?«
    »Das weiß ich nicht, das hängt von Ihnen ab.«
    »Würden Sie sich darüber freuen?«
    »Aber lieber Doktor, was soll ich darauf antworten, ein junges Mädchen kann doch nicht ›ja‹ sagen.«
    Delius sieht an ihr vorbei, in ihm formt sich ein wilder Entschluß: »Hallo – Reiseleiter, warten Sie mal, ich glaube, ich habe es mir anders überlegt – ich bleibe hier!«
    »Ganz wie Sie wünschen.«
    Das Gepäck ist allerdings schon aufgeladen. Der Fahrer klettert auf das Wagendach, schnallt die

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