Heißer Schlaf
Gedanken, bevor dieser ihn aus der Tasche ziehen konnte. Jas ließ sich zu Boden fallen und rollte weg. Der Laser verbrannte hinter ihm den Fußboden. Es dauerte eine Weile, bis die Waffe wieder feuerbereit war, und in diesem Augenblick war Jas auch schon aus der Tür und rannte den Flur entlang.
Irgendwo im Komplex wurde Alarm ausgelöst.
Vor ihm schlug eine Tür zu. Vor der Tür stand ein Posten. Jas blieb stehen und suchte in den Gedanken des Mannes wie verrückt einen Ausweg, einen zweiten Ausgang. Er fand ihn direkt hinter den Augen des Mannes, obwohl der Mann doch merkte, daß Jas fliehen wollte. Er hob die Waffe – aber Jas war schon weg.
Hier? Nein, die andere Tür. Raus und die Treppe runter. Dann durch diese letzte Tür und weiter durch die Korridore, die nach allen Seiten in die unter der Oberfläche gelegene Stadt Capitol abzweigten, die sich endlos ausdehnte, ein ungeplantes und unplanbares Labyrinth von Pol zu Pol und dann bis –
Nach Hause? Nein nicht nach Hause, dachte Jas, denn der Plan, der in Radamands Kopf schon entstand, war, Jas unter irgendeiner Anklage festzunehmen – widerrechtliches Eindringen? Verweigerung, sich einem Verhör zu stellen? Für jemanden in Radamands Position, mit seinem Einfluß und seinem Prestige war es ein leichtes, Jas für immer hinter Gitter zu bringen.
Oder in einer kleinen Plastikbox auf dem Friedhof.
Jas überlegte weiter, als er die Korridore entlangrannte, sich in ihren Windungen und Aufgängen verlor, versuchte, sich dreidimensional so weit wie möglich von seinem Vetter abzusetzen. Er mußte lächeln, als er daran dachte, wie Radamand vermutlich seinen Einfluß und sein Prestige erlangt hatte: Er konnte nämlich genau erkennen, was seine Vorgesetzten zu verbergen hatten, und machte dann leise Andeutungen – man konnte es noch nicht Erpressung nennen, die seine Ermordung zur Folge gehabt hätte, aber es reichte aus, den Vorgesetzten davon zu überzeugen, daß Radamand sein Geheimnis kannte. Und ihn verstand. Nie verraten würde; daß man ihm trauen konnte; daß er ein Freund war, der alles wußte und dennoch loyal blieb.
Deshalb seine Beförderungen. Und seine Macht. Sein ganzer Reichtum und sein Ansehen. Das alles fürchtete Radamand jetzt zu verlieren, da jemand wußte, was er zu verbergen hatte.
Jas erreichte die Untergrundbahn, stieg ein und entfernte sich noch weiter von seiner Wohnung. An der nächsten Haltestelle stieg er aus und nahm einen anderen Zug in irgendeine Richtung.
Dann stieg er noch einmal um.
Und noch einmal.
Dann verließ er die Haltestelle, ging an einen Computer-Terminal und schob seine Karte hinein. Gefährlich? Vielleicht – aber der Zugang zu den Hauptspeichern des Computers wurde von Mamis Kleinen Jungs streng bewacht, und so weit reichte Radamands gewiß beträchtlicher Einfluß, wie Jas meinte, nun doch wieder nicht. Nein, er würde einfache Polizisten auf ihn ansetzen, nicht die Computer-Polizei oder die Lauscher in den Wänden.
Also ging er bei den Computern wahrscheinlich kein Risiko ein.
Jas holte sich Informationen über Strafrecht auf den Schirm. Er spezifizierte. Und er spezifizierte ein weiteres Mal. »Straffreiheit bei Verbrechen der Klassen 2-8 und bei allen Vergehen.«
Dann spezifizierte Jas noch einmal, um zu erfahren, unter welchen Bedingungen Jugendlichen Straffreiheit gewährt wurde. Es gab nur zwei Möglichkeiten: den Militärdienst und die Kolonien.
Bloß nicht die Kolonien. Bloß nicht diesen einen Schuß Somec und dann auf einem fünfzig Lichtjahre entfernten öden Planeten aufwachen, um dort die normalen etwa hundert Jahre zu leben und dann zu sterben, ohne Ruhm und ohne Macht und ohne die Aussicht auf Somec in einer Dosierung, die Unsterblichkeit verheißt. Die Kolonien waren für die wahrhaft Verzweifelten. Jas aber hatte noch Hoffnung.
Blieb nur der Militärdienst. Am Ende des Schlafes unter Somec wachten die Kommandanten weit draußen im Raum auf, schlugen eine Schlacht oder verbrachten dort eine kurze Dienstzeit, um dann im Somec-Schlaf wieder nach Capitol zurückzukehren, wo sie als Helden betrachtet wurden – wenigstens die erfolgreichen –, und reich waren sie dann alle, auch wenn sie keine besonderen Erfolge aufzuweisen hatten; und was das Wichtigste war, die Kommandanten durften weiterhin Somec nehmen und waren nur alle dreißig oder vierzig oder fünfzig Jahre ein Jahr lang wach. Sie sahen die Jahrhunderte an sich vorübergleiten und lachten über die Zeit –
Der Militärdienst
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