Henker-Beichte
Sekundenbruchteile. Dann endlich hatte ich die Klinke erwischt und hämmerte sie nach unten.
Der Abbé schloß sein Zimmer nur selten ab. Ich konnte nur hoffen, daß er sich auch heute daran gehalten hatte.
Er hatte!
Ich drückte die Tür auf.
Der erste Schritt über die Schwelle, schnell und trotzdem wachsam, mit schußbereiter Waffe.
Ich kam nicht mehr zu einem zweiten Schritt, denn ich sah den Abbé vor mir stehen. Er nahm mich nicht wahr. Sein Gesicht war starr. Er starrte aus blicklosen Augen ins Leere. Und vor ihm, fast noch zwischen den Füßen, lag das Beil. Die Klinge war blutig…
Ich merkte, wie sich mein Puls beschleunigte. Ich wünschte mich jetzt weit, weit weg, aber das war nicht möglich. So mußte ich den Realitäten ins Auge sehen.
Sehr langsam und wie ferngelenkt drehte ich den Kopf. Ich sah den Tisch, auch zwei umgekippte Stühle, und ich sah noch mehr. Der Mensch lag auf dem Boden, eine Blutlache umgab seinen Kopf und war dabei, sich noch weiter auszubreiten.
Auguste Cresson hatte gebüßt. Er würde nie mehr ein Beil auch nur streicheln können.
Jemand hatte ihn erschlagen!
***
Es war eine unheimliche Ruhe, die sich in diesem Zimmer ausgebreitet hatte. Auch ich war nicht in der Lage, ein Wort zu sagen. Hinter mir wollten sich die Templer in den Raum drängen. Sie merkten rasch, wie fehl sie hier am Platz waren, und sie zogen sich deshalb zurück.
Einer schloß sogar die Tür, was gut war, denn ich wollte mit dem Abbé allein sein.
Sein Gesicht hatte sich wieder ein wenig entspannt. Noch immer aber war er mit den Gedanken woanders. Erst als ich dicht vor ihm erschien, schrak er zusammen.
»Abbé…«, sagte ich.
»Ja, was ist?«
»Bist du…?«
»Ich wollte es nicht, John.« Er redete mit einer fremden Stimme. »Ich wollte ihn nicht erschlagen. Ich habe das verfluchte Beil genommen, um es von ihm wegzubringen. Ich wollte ihn retten, verstehst du? Einfach nur retten. Aber dann habe ich zugeschlagen, richtig zugeschlagen, doch ich bin es nicht gewesen.«
»Ich weiß.«
Er krallte sich an mir fest. »Verdammt noch mal, nichts weißt du!« schrie er. »Gar nichts! Das Beil, das verfluchte Beil… es… steckte eine Kraft in dieser Klinge, die mich ausgeschaltet hat. Ich war nicht mehr der Abbé Bloch, den du kennst. Ich wurde zu einem Tier, und ich konnte nichts daran ändern. Ich habe dagegen angekämpft. Ich wollte die Waffe wegwerfen, aber sie klebte an meinen Händen fest. Ich schrie, ich betete, ich bekam die Hände nicht frei, um mich vielleicht durch den Würfel zu retten, doch das ANDERE war stärker. Es hat mich voll und ganz übernommen, ich bin nicht mehr dazu gekommen, ich war einfach zu schwach, John Sinclair, zu schwach.«
»Niemand ist immer stark.«
»Ich bin ein Mörder, John!«
»Nein, das bist du nicht!«
Er hielt mich noch immer fest und schüttelte mich jetzt durch. »Doch, ich habe einen Menschen umgebracht, ich habe ihm die Klinge in den Kopf geschlagen. Es passierte hier. Hier in meinem Haus, in meinem Zimmer. Ich… ich…« Er rang gierig nach Luft und kam mir plötzlich vor wie Okuba, als er auf die Giftkapsel gebissen hatte.
Bloch starb nicht. Er sackte nur zusammen und wurde von mir aufgefangen. Mit ihm auf den Armen verließ ich das Zimmer. Als ich in den Flur trat, schauten mich die Templer erschreckt an, denn der Abbé sah aus wie eine Leiche.
Ich beruhigte sie und brachte Bloch anschließend in sein Zimmer. Aus seinem Arbeitszimmer telefonierte ich anschließend mit London, um Sir James zu erklären, daß ich noch zwei Tage bleiben würde. Ich mußte mich um den Abbé kümmern, mußte immer wieder mit ihm reden, um ihn von dem Gedanken zu befreien, ein Mörder zu sein…
***
Die Toten fanden ihre letzten Ruhestätten auf dem kleinen Friedhof von Alet-les-Bains. Die Gräber lagen dicht nebeneinander. Das von Auguste Cresson war trotz seiner Vergangenheit mit einem schlichten Holzkreuz geschmückt worden. Blieb das Beil.
Der Griff wurde verbrannt und das Eisen eingeschmolzen. Nichts mehr sollte an das Henkersbeil erinnern…
ENDE
[1] Siehe John Sinclair Taschenbuch Nr. 73 164 »Totenplatz«
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