Hennessy 02 - Rätselhafte Umarmung
was?«
»Ein Geisterjäger. Wenn die Leute nachts was poltern hören, dann rufen sie mich, damit ich rausfinde, was es ist. Ist es Tante Edna, die sich für die unzähligen Scherze rächen will, die man über ihren Hackbraten gemacht hat, oder ist es bloß ein verstopftes Wasserrohr?« Er zog die breiten Schultern hoch. »Stammt dieser widerwärtige Schleim im Keller direkt aus der Hölle, oder ist es nur Zeit für eine neue Sickergrube?«
»Und es gibt tatsächlich Leute, die Sie dafür bezahlen?« fragte Rachel fassungslos. Die Vorstellung widersprach vollkommen ihrem nüchternen Wesen. »Sie nehmen tatsächlich Geld dafür?«
»Ein Verbrechen wider die Menschlichkeit, nicht wahr?« kommentierte Bryan sardonisch. Er war an den Umgang mit Skeptikern gewöhnt. Wenn man seinen Lebensunterhalt damit verdiente, Dinge zu erforschen, die für die meisten Menschen nicht existierten, dann musste man lernen, mit Kritik im Handumdrehen fertig zu werden. Aber er versuchte erst gar nicht, sich vor Rachel Lindquist zu rechtfertigen.
Sollte sie doch denken, was sie wollte, dachte er bei sich. Er war viel besser dran, wenn er sich einfach nicht um sie kümmerte. So wie er sich zu ihr hingezogen fühlte, trotz seiner Wut darüber, wie sie ihre Mutter behandelte, war nicht abzusehen, was passieren würde, wenn er sich mit ihr einließ. Nicht, daß er sich mit ihr einlassen wollte, korrigierte er sich hastig. Sich heraushalten war zur
Zeit seine oberste Maxime* Er kümmerte sich ausschließlich um seinen Kram und suchte Geister.
»Sie spielen mit dem Aberglauben und den Ängsten einsamer alter Frauen.« Rachel wurde immer wütender. Er war ein Betrüger. Gott sei Dank war sie noch rechtzeitig gekommen. Niemand konnte sagen, wie viel dieser gutaussehende Scharlatan Addie abgeknöpft hatte. »Sie stellen eine Menge elektronischen Hokuspokus auf, faseln einen Haufen wissenschaftlich klingenden Unsinn und nehmen Geld dafür. Ich finde das erbärmlich.«
Bryan richtete sich auf, und seine Hände kamen auf dem Scheinwerfer zu ruhen, den er eben wieder gerade gerückt hatte. Er sah sie eindringlich an; seine warmen blauen Augen wirkten streng. »Nun, jeder von uns hat wohl so seine eigenen Vorstellungen davon, was er für erbärmlich hält, nicht wahr, Ms. Lindquist?«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Oh, nichts, gar nichts«, murmelte Bryan und riss den Blick von ihr los.
Verdammt, wie konnte er sie nur so attraktiv finden, wo er doch soviel über sie wusste ? Selbst jetzt, wo er wirklich und vollkommen zu Recht wütend auf sie war, war ein Teil seines Gehirns immer noch damit beschäftigt, Rachel Lindquists Schönheit, diese außergewöhnliche, sanfte, weibliche Ausstrahlung zu bewundern. Die bedenkenlose Lust, die langsam von ihm Besitz ergriff, war eine beunruhigende neue charakterliche Schwäche, um es vorsichtig auszudrücken. Mit einer beträchtlichen Willensanstrengung versuchte er, sie aus seinem Bewusstsein zu verdrängen.
Rachel spürte seine Ablehnung wie einen Eisregen, und das nagte an ihr. Dieser Mann war kaum besser als ein ordinärer Dieb, und er sah auf sie herab! Was wusste er schon über sie? Nichts. Es sei denn ... Addie hatte ihm etwas erzählt. Die Vorstellung, daß Addie ihre Familiengeheimnisse mit diesem Fremden teilte, verdross sie noch mehr.
»Ich weiß nicht, was meine Mutter Ihnen erzählt hat, Mr. Hennessy, aber sie ist nicht gesund. Sie hat die Alzheimer-Krankheit.«
»Ich bin mir dessen sehr wohl bewusst, Ms. Lindquist«, erwiderte Bryan spitz. »Ich war in letzter Zeit täglich mit Addie zusammen. Ich möchte sogar behaupten, daß ich wesentlich besser über ihre augenblickliche Verfassung Bescheid weiß als Sie.«
Das saß. Seine Worte und das brennende Schuldgefühl, das augenblicklich in ihr aufflammte, ließen Rachel zusammenzucken. Trotzdem riss sie sich zusammen und hob hoheitsvoll das Kinn. »Dr. Moore hat leider erst letzte Woche Verbindung mit mir aufnehmen können.«
»Oh. Verzeihen Sie. Ich hatte gedacht, daß Sie Ihre Mutter hin und wieder anrufen könnten«, bemerkte Bryan trocken. »Vielleicht ein-oder zweimal im Jahr.«
Tränen brannten in Rachels Augen. Sie hatte Addie immer wieder angerufen. Sie hatte versucht, die Kluft zu überbrücken, die sie trennte. Jedesmal hatte Addie gleich wieder aufgelegt. Keiner der Briefe, die sie geschrieben hatte, war beantwortet worden. Jedes Friedensangebot war auf unerbittliches, eisiges Schweigen gestoßen. Aber all das ging Bryan
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