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Herbst

Herbst

Titel: Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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her vertraut, noch einmal ein Stückchen bäuerlichen Lebens. Ich hatte es damit nicht mehr leidenschaftlich und heftig im Sinn, ich würde es mehr läßlich betreiben, mehr die Muße suchen als die Arbeit, mehr am blauen Herbstfeuer-Rauche träumen als Wälder roden und Pflanzungen anlegen. Immerhin, ich hatte eine schöne Weißdornhecke gepflanzt, und Sträucher und Bäume, und viele Blumen, und jetzt brachte ich dieseSpätsommer- und Herbsttage, die unvergleichlichen, beinahe ganz im Gras und Garten hin, mit kleinen Arbeiten, mit dem Schneiden der jungen Hecke, dem Vorbereiten eines Gemüsegartens für den Frühling, dem Säubern der Wege, dem Reinigen der Quelle – und bei allen diesen kleinen Arbeiten hatte ich ein Feuer auf der Erde brennen, ein Feuer aus Unkraut, aus dürrem Gezweig und Dörnicht, aus grünen oder braunwelken Kastanienschalen.
    Zuweilen im Leben, mag es im übrigen sein, wie es wolle, trifft doch etwas wie Glück ein, etwas wie Erfüllung und Sättigung. Gut vielleicht, daß es nie lange währen darf. Für den Augenblick schmeckt es wundervoll, das Gefühl der Seßhaftigkeit, des Heimathabens, das Gefühl der Freundschaft mit Blumen, Bäumen, Erde, Quelle, das Gefühl der Verantwortlichkeit für ein Stückchen Erde, für fünfzig Bäume, für ein paar Beete Blumen, für Feigen und Pfirsiche.
    Jeden Morgen lese ich vor dem Atelierfenster ein paar Hände voll Feigen auf und esse davon, dann hole ich Strohhut, Gartenkorb, Hacke, Rechen, Heckenschere und begebe mich ins herbstliche Gelände. Ich stehe an der Hecke, befreie sie aus dem meterhohen Unkraut, das sie bedrängt, häufe in großen Haufen die Winden und den Knöterich, den Schachtelhalm und den Wegerich, entzünde ein Feuerchen am Boden, nähre es mit etwas Holz,decke es mit etwas Grünem, daß es langsam schmore, sehe den blauen Rauch sanft und stetig wie eine Quelle fluten und zwischen den goldenen Maulbeerkronen hinüber ins Blau des Sees, der Berge und des Himmels schwimmen. Es kommt allerlei nachbarliches, vertrauliches Geräusch zu mir von meinen Mitbauern, es stehen am Wasser meiner Quelle zwei alte Weiber und waschen Wäsche, und schwatzen, und beteuern ihre Erzählungen mit schönen Redewendungen, mit »magari« und »santo cielo!«. Es kommt vom Tal herauf ein hübscher barfüßiger Knabe, das ist Tullio, Alfredos Sohn, ich erinnere mich an das Jahr seiner Geburt, ich war damals schon Montagnolese, jetzt ist er elf Jahre alt. Sein violettes zerwaschenes Hemdchen steht schön vor der Seebläue, er bringt vier graue Kühe mit zur Herbstweide, mit rosigen und flaumigen Mäulern atmen sie prüfend den Streifen Feuerrauch, der ihre Nasen erreicht hat, reiben die Köpfe aneinander oder an den Maulbeerstämmen, traben zwanzig Schritt weit, bleiben vor einer Rebenzeile stehen, werden vom kleinen Hirten ermahnt, wenn sie an den Reben zerren, und läuten im Hinschreiten stetig mit den kleinen Halsglocken. Ich rupfe den Knöterich aus, es tut mir leid um ihn, aber meine Hecke ist mir lieber, und am feuchten Boden tritt allerlei Pflanzentum und Tierleben unter meinen säubernden Händen zutage: eine lichtbraune, schöneKröte, sie weicht ein wenig vor meiner Hand zur Seite, bläht den Hals und schaut mich an, die Augen sind Edelsteine. Heuschrecken fliegen auf, aschgraue Tiere, die im Fliegen blaue und ziegelrote Flügel entfalten. Erdbeersträucher wachsen mit winzigen sorgfältig gezahnten Blättern, und eine davon trägt eine winzige weiße Blüte mit gelbem Stern. Tullio schaut seinen Kühen zu. Er ist keine Schlafmütze, aber auch er schon in seinem drangvollen Knabenfrühling spürt die Luft der Jahreszeit, spürt die Sattheit nach dem Sommer, die Trägheit nach der Ernte, das träumerische Ruhebedürfnis, dem Winter entgegen. Er schlendert still und träge, bleibt oft viertelstundenlang regungslos, schaut aus den klugen braunen Augen in das blaue Land, zu den fernen weißleuchtenden Dörfern an den violetten Berghängen, nagt manchmal eine Weile an einer rohen Kastanie und wirft sie wieder weg. Endlich legt er sich nieder ins kurze Gras, zieht eine Weidenflöte heraus, fängt leise zu blasen an und probiert, was für Melodien sich auf ihr spielen lassen: sie hat nur zwei Töne. Die zwei Töne genügen zu vielen Melodien, sie genügen, mit ihrem Ton von Holz und Rinde, um die blaue Landschaft, den feurigen Herbst, den schläfrig ziehenden Rauch, die fernen Dörfer und den matt spiegelnden See zu besingen, und die Kühe und die Weiber

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