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Herbst

Herbst

Titel: Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Wochen verteilt, färben sich die Blätter, wird die Rebe gelb und braun oder purpurn, der Kirschbaum scharlachrot, der Maulbeerbaum goldgelb, und im bläulich dunklen Laub der vielen Akazien flimmern die verfrüht vergilbten ovalen Blättchen wie versprengte Sternfunken.



Viele Jahre lang, zwölf Jahre lang habe ich diese Spätsommer und Herbste hier miterlebt, als Wanderer, als stiller Betrachter, als Maler, und wenn die Weinlese begann und zwischen den braungoldenen Weinblättern und schwarzblauen Trauben die roten Kopftücher der Weiber und Jubelschreie der Burschen aufklangen, oder wenn ich an einem windstillen und leicht bedeckten Tage in der weiten Landschaft unseres Seetales überall die kleinen blauen Rauchsäulen der ländlichen Herbstfeuer emporsteigen und die Nähe einhüllend mit der Ferne verbinden sah, dann fühlte ich nicht selten einen Neid und eine Wehmut, wie sie der Wanderer im Herbst und im Altern empfindet, wenn er über die Zäune weg zu den anderen hinüberschaut, den Seßhaften, die ihre Trauben ernten, ihren Wein keltern, ihre Kartoffeln zu Keller bringen, ihre Töchter verheiraten, ihre kleinen launigen Gartenfeuerchen brennen lassen und die ersten Kastanien vom Waldrande darin braten. Merkwürdig schön, beneidenswert und vorbildlich
    erscheinen die Bauern und Seßhaften dem Wanderer, wenn es Herbst wird und sie ihre halb festlichen Arbeiten tun, ihre bukolischen und georgischen Bräuche begehen, ihre Lieder singen, ihre Trauben pflücken, ihre Fässer flicken, ihre Unkrautfeuer anzünden, um dabeizustehen, Kastanien zu braten und dem blauen zarten Rauche nachzublicken, wie er langsam sich verspielt und verliert und die allzu klare, glasige Landschaft heimlicher, versteckter, wärmer und versprechender macht. Zu nichts anderem scheinen diese Feld- und Gartenfeuer ja zu brennen. Angeblich dienen sie dazu, die störenden Brombeerpflanzen und das Kartoffelkraut zu vernichten, dem Boden Asche zu geben, die stachligen Kastanienschalen zu verbrennen, die nicht im Grase bleiben dürfen, weil sie für das Vieh gefährlich sind. Aber jeder Bauer, der da irgendwo zwischen den Rebstangen und Maulbeerstämmchen träumerisch sein Feuer schürt, scheint es doch nur zu tun um eben dieser Träumerei willen, dieses kindlich hirtenhaften Müßigganges, und um das Blau der Ferne mit den gelben, roten, braunen Klängen der farbigen Nähe zarter, inniger und musikalischer zu verbinden durch den träumerisch und launisch hinschleichenden Rauch, der um diese Jahreszeit tage- und wochenlang vom Morgen bis zum rosigen Abend unsere farbige Landschaft erfüllen und verschleiern hilft.
    Oft hatte ich dem Rauche und den beim Feuer hockenden Männern und Buben zugesehen, wie sie ihre letzten Feldarbeiten träg und lässig besorgten mit einer Sattheit und leisen Schläfrigkeit, die mich an die Bewegungen der Schlangen und der Eidechsen, und auch der Insekten erinnerte, welche, wenn es Herbst und kühl zu werden beginnt, so schlafsüchtig und leise taumelnd, so langsam und gelassen ihre gewohnten Gänge und Arbeiten verrichten, satt vom Sommer, müde von der Sonne, gewillt zu Ruhe und Winter, zu Schlaf und Dämmerung. Und immer hatte ich sie ein wenig beneidet, den Kuhhirten Felice und den reichen Bauern Franchini, den man »il barone« (sprich: barong) nennt, die Kastanienbrater an den Feldfeuern, wie sie herumstehen und mit rauchenden Gerten den Braten aus der Glut hervorkitzeln, die singenden Kinder, die schläfrig über die Blumen kriechenden Bienen, die ganze friedevolle, zur Winterruhe bereite, problemlose, angstlose, einfache und gesunde Welt der Natur und des primitiven, bäurischen Menschenlebens. Ich hatte Gründe für meinen Neid, denn ich kannte das vegetative Glück dieser Hingabe an Feldfeuerchen und herbstliche Trägheit recht wohl; ich hatte selber einst manche Jahre meinen Garten bestellt, und meine eigenen Feuerchen brennen gehabt, und immer um diese herbstliche Zeit tat es mir leid darum, und sah ich das Verlorene im verklärenden Licht
    Und siehe, dies holde Los war mir jetzt noch einmal zugedacht, es war mir in den Schoß gefallen, wie eine reife Kastanie dem Wanderer auf den Hut fällt, er braucht sie nur zu öffnen und zu essen. Ich war, wider alles Erwarten, noch einmal seßhaft geworden und besaß, nicht als Eigentum, aber doch als lebenslänglicher Pächter, ein Stück Land! Eben erst hatten wir unser Haus darauf gebaut und waren eingezogen, und jetzt begann für mich, aus vielen Erinnerungen

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