Herbst
der Wein so reichlich und so honigsüß gewesen sei, wie es heutzutage gar nimmer vorkomme. Man muß sie reden lassen, die Alten, und in aller Stille die Hälfte abziehen. Wenn wir einmal siebzig oder achtzig sind, werden wir von manchem Jahr gerade so reden. Wir werden es im unsäglich köstlichen Gold der unerreichbaren Ferne sehen undwerden unsere Dankbarkeit und unser Altersleid und unser ganzes Jugendheimweh in unsere sehnlichen Erinnerungen mischen.
(Aus: »Der Flieger«, 1905)
/ BLICK NACH ITALIEN /
Über dem See und hinter den rosigen Bergen
Liegt Italien, meiner Jugend gelobtes Land,
Meiner Träume vertraute Heimat.
Rote Bäume sprechen vom Herbst.
Und im beginnenden Herbst
Meines Lebens sitz ich allein,
Schaue der Welt ins schöne grausame Auge,
Wähle Farben der Liebe und male sie,
Die so oft mich betrog,
Die ich immer und immer noch liebe.
Liebe und Einsamkeit,
Liebe und unerfüllbare Sehnsucht
Sind die Mütter der Kunst;
Noch im Herbst meines Lebens
Führen sie mich an der Hand,
Und ihr sehnliches Lied
Zaubert Glanz über See und Gebirg
Und die abschiednehmende, schöne Welt.
// Der Herbst ist überall schön, und er ist überall auch traurig und beklemmend, und wenn die Nebel beginnen, oder eine Reihe später Gewitter den Sommer endgültig abgeschlossen hat, dann kommt für uns ältere und nicht mehr so ganz rüstige Leute der Augenblick, wo die kalten Füße, das Ziehen in den Gliedern und die Bangigkeit vor den kommenden kalten und finstern Monaten uns zu schaffen machen.
Zwischen Sommer und Winter, im September und Oktober, entschließe ich mich darum leichter als zu andern Jahreszeiten zu einer Badekur. Ich suche mir dann einen ruhigen und freundlichen Ort, wo es warme Schwefelquellen, eine freundliche Landschaft, einen guten Arzt und gute, alte, wohlige Bade-Hotels gibt. Und dieser Ort ist für mich Baden an der Limmat. Dort, in dem stillen alten Bäderquartier an der Limmat, sind Leute von meiner Art im Herbst gut aufgehoben.
(Antwort auf die Umfrage »Welches ist Ihr liebster
Herbstferienort?«, Neue Zürcher Zeitung, undatiert)
/ MAGIE DER FARBEN /
Gottes Atem hin und wider,
Himmel oben, Himmel unten,
Licht singt tausendfache Lieder,
Gott wird Welt im farbig Bunten.
Weiß zu Schwarz und Warm zum Kühlen
Fühlt sich immer neu gezogen,
Ewig aus chaotischem Wühlen
Klärt sich neu der Regenbogen.
So durch unsre Seele wandelt
Tausendfalt in Qual und Wonne
Gottes Licht, erschafft und handelt,
Und wir preisen Ihn als Sonne.
// Der Spiegel des Flusses flimmerte blau, gold und weiß, durch die fast ganz entblätterten Ahorne und Akazien der Straßenalleen wärmte eine milde Oktobersonne herab, der hohe Himmel war wolkenlos hellblau. Es war einer von den stillen, reinen und freundlichen Herbsttagen, an denen alles Schöne des vergangenen Sommers wie eine leidlose, lächelnde Erinnerung die milde Luft erfüllt, andenen die Kinder die Jahreszeit vergessen und meinen, sie müssen Blumen suchen, und an denen die alten Leute mit sinnenden Augen vom Fenster oder von der Bank vorm Hause in die Lüfte schauen, weil es ihnen scheint, die freundlichen Erinnerungen nicht nur des Jahres, sondern ihres ganzen abgelaufenen Lebens flögen sichtbar durch die klare Bläue. Die Jungen aber sind guter Dinge und preisen den schönen Tag, je nach Gaben und Gemütsart, durch Trankopfer oder Schlachtopfer, durch Gesang oder Tanz, durch Trinkgelage oder durch großartige Raufhändel, denn überall sind frische Obstkuchen gebacken worden, liegt junger Apfelmost oder Wein gärend im Keller und feiert Geige oder Harmonika vor den Wirtshäusern und auf den Lindenplätzen die letzten schönen Tage des Jahres und ladet zu Tanz und Liedersingen und Liebesspielen ein.
(Aus: »Unterm Rad«, 1903)
// Für eine Stunde bin ich dem Haus entronnen, dem kühlen schattigen Zimmer, wo am Boden mein großer Reisekoffer liegt, schon dreiviertel vollgepackt mit Büchern, Schreibzeug, Schuhen, Wäsche, Briefschaften; denn es ist Herbst geworden, und ich trete wie jedes Jahr die Flucht vor dem Winter an, nicht südwärts zur wärmeren Sonne,sondern nordwärts zu den Häusern, wo man warme Öfen und warme Badezimmer findet, wo es zwar Nebel, Schnee und andere Übel gibt, aber auch befreundete Menschen, Aufführungen von Mozart und Schubert und dergleichen geliebte Dinge.
O wie schnell ist das wieder gegangen mit dem Herbstwerden! Dies Jahr war es ja ein Spätsommer ohnegleichen, er schien nie enden zu können, Tag um Tag wartete man, nach
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