Herbst
Hügeln, mit Malen, Spazieren, Wandern, in leichter, sorgloser Kleidung, in dünner Leinenjacke mit offenem Hemd. Und jetzt ist dies Zimmer plötzlich wieder wichtig, ist Heimat – oder Gefängnis, ist unentrinnbarer Aufenthalt.
Wenn erst einmal der Übergang vollzogen und der Dauerbrenner angezündet ist, wenn man sich darein ergebenund wieder daran gewöhnt hat, eingesperrt zu sein und ein Stubenleben zu führen, dann kann es ja wieder ganz hübsch werden. Für den Augenblick ist es nicht hübsch, ich schleiche von Fenster zu Fenster, sehe die Berge (über denen gestern noch die klare Mondnacht lag) in Wolken verhüllt, sehe und höre den kalten Regen ins Laub fallen, gehe hin und wieder, friere und empfinde dennoch die warmen festen Kleider, die ich angezogen habe, als lästig. Ach, wo sind die Zeiten, da man halbe Nächte in Hemdärmeln auf der Terrasse oder im Wald unter den hohen, sanft wehenden Bäumen saß!
Es ist nun Zeit, sich wieder an sein Zimmer zu gewöhnen, die Wolken und den Regen draußen als Nebensache und die Stube als Hauptsache zu betrachten. Ich werde sie morgen heizen, oder vielleicht noch heute, es bedarf nur dazu so vieler lästiger, langweiliger und ärgerlicher Verrichtungen. Den Dauerbrenner anzuzünden würde eine zu große Konzession an das Wetter, ein völliges Sichgehenlassen und allzu frühes Sicheinwintern bedeuten. Dazu ist es noch nicht Zeit. Ich will mir vorerst noch so behelfen, mit Auf- und Abgehen, Händereiben, ein paar kleinen Turnübungen. Und dann, fällt mir ein, besitze ich von früheren Wintern her noch einen kleinen Petroleumofen, so eine runde, rostige Blechkanne, die muß ich suchen und mobil machen. Es wird nicht angenehm sein, das Dingwird verrußt und verharzt und mit eingetrocknetem Öl verklebt sein, und bis man es wieder installiert und gefüllt und einigermaßen zum Brennen gebracht hat, wird es Ärger und Gestank und dreckige Finger geben. Na, es wird eben sein müssen, morgen, oder am Ende noch heute, wenn die Kälte nicht nachläßt. Aber ehe ich an diese Prozeduren gehe, friere ich doch lieber noch eine Weile, drücke mich im Zimmer herum, schaue durch die Fenster, rücke an den Büchern, blättere in meinen Aquarellmappen vom Sommer. Und allmählich wird mir bewußt, daß ich in diesen letzten Monaten meine alte Stube eigentlich sehr wenig angeschaut und beinahe vergessen habe, wie sie aussieht. Ich sehe sie mir nun wieder an, ich muß mich wieder mit ihr vertraut machen und befreunden.
Man sieht wohl, daß hier eine ganze Weile nur provisorisch gelebt und nicht richtig gewohnt worden ist. Es hängen oben in den Stubenecken, überm alten Spiegel, über den Bücherschränken manche große, mit dunklem Staub gefüllte Spinnweben, die wird man gelegentlich entfernen müssen. Es liegt Staub auf Tischen und Stühlen, und überall liegen Sachen herum, die irgendeinmal für den Augenblick weggelegt, aber dann nie mehr weggenommen wurden. Es liegen Mappen mit Skizzen und Zeichnungen herum, und Kartons, und Haufen von Briefschaften, es stehen Fläschchen mit Leim, mit Zeichentinte, mitFixativ herum, leere Zigarrenschachteln, vergessene Schutzkartons von gelesenen Büchern. Erst hinter dieser Schicht von Unordnung erkenne ich allmählich die alte Stube wieder, und die alten Sachen, und alles gewinnt wieder Bedeutung und verlangt Beachtung.
In dunkler Höhe zwischen zwei Fenstern hängt die kleine altitalienische Madonna, die ich einst, vor sehr vielen Jahren, auf einer Reise in Brescia bei einem Trödler gekauft habe, eins der wenigen Stücke, die mich durch lange Zeiten und viele Wechsel meines Lebens begleitet haben. Sie, die alten Bücher und der große Schreibtisch sind die hergebrachten alten Stücke meiner Einrichtung. Die andern Möbel gehören der Hausfrau. Auch sie sind in zehn Jahren mir vertraut geworden, und man sieht ihnen allmählich das Altwerden an. Der kleine Polsterstuhl am Schreibtisch ist durchgesessen, unterm alten grünen Stoff beginnen die Gurte sichtbar zu werden, und das hübsche Kanapee ist auch etwas hart und löcherig geworden. An den Wänden hängen meine Aquarelle, dazwischen ein Kopf von Greco, das schöne Bildnis des jungen Novalis, das Bild des elfjährigen Mozart. Auf dem Bibliotheksschemel steht eine große fatale Kiste mit Zigarren, noch halb voll, es war ein Gelegenheitskauf, und sie bewährten sich nicht, ich bin damit hereingefallen, und sie werden jetzt für den Postboten verwendet, und zuweilen fällt auch einmal
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