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Herbst

Herbst

Titel: Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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da es doch wärmere Länder, Eisenbahnen und Schiffe gibt? Nachdenklich hole ich den Globus und dann eine Karte von Italien her, suche den Gardasee, die Riviera, Neapel, Korsika und Sizilien. Da ließe sich die Zeit bis Weihnachten verbringen! Sonnige Felsenstrandwege am blauen Meer, laue Stunden auf süditalienischen Küstendampfern und in Fischerbarken, ernste Palmenwipfel, in der tiefen Mittagsbläue ruhend. Es wäre nicht übel, immer vor dem Herbst her einige Meilen südwärts zu fahren und dann mitten im Winter sonnenverbrannt in die heimische Ofenbehaglichkeit zurückzukehren. Die Landkarte da unten wimmelt von schönklingenden Namen schöngelegener Städte und Dörfer, die ich noch nicht kenne und die mir Tage des Wohlseins und Schwelgens versprechen, und die ganze Reise ist, sobald ich sie auf dem Globus ausmesse, erstaunlich klein und bescheiden. Vielleicht könnte ich, der Wärmenachgehend, noch einen Aufenthalt in Afrika machen, in Constantine oder in Biskra Kameltouren unternehmen, Negermusik anhören und türkischen Kaffee trinken und den Faltenwurf an den Gewändern der Beduinen und Araberfrauen betrachten?
    Wie schön solche Pläne einen leeren Abend füllen! Eine Landkarte, ein paar alte Kursbücher und ein Bleistift – wie man sich damit die Zeit vertreiben, einen Ärger vergessen und sich die Phantasie mit lauter reizenden Vorstellungen füllen kann!
    Wie jedes Jahr um diese Zeit suche ich die Karte nach warmen, herrlichen Gegenden ab, studiere die Schiffslinien und die Fahrpreise. Und wie jedesmal bleibe ich hier und reise nicht. Was mich zurückhält, ist ein sonderbares Schamgefühl. Es will mir unrecht scheinen, den rauhen Tagen zu entfliehen, nachdem ich die schönen genossen habe. Vielleicht ist es auch nur ein gesetzmäßiges Bedürfnis der Natur, daß sie nach Monaten der Wärme, der Farben, nach dem Überfluß an Behagen, Schönheit und starken Eindrücken müde wird und nach Kühle, Rast und Beschränkung verlangt. Es ist nun einmal nicht das ganze Jahr Sommer, so soll man auch nicht ohne Not ihn künstlich verlängern wollen.
    Ein paar unentschiedene und unzufriedene Tage, dann haben diese Erwägungen Macht gewonnen, und der Herbstbeginnt mir lieb zu werden. Wie konnte ich ans Fortreisen denken, da ich doch von so vielen Dingen, die mir lieb sind und denen ich Dank schulde, Abschied nehmen muß. Die letzten Gartenfreuden, die letzten Wiesenblumen, die Schwalben unter meinem Dach, die letzten satt und taumelnd übers Land wehenden Schmetterlinge. Man achtet schon wieder jeden einzelnen und fürchtet bei jedem, er möchte der letzte seiner Gattung sein. Auch unsere altmodischen kleinen Dampfschiffe, meine einzige Verbindung mit der Welt, werden in Bälde rar werden. Vom Oktober an kommt nur noch eins am Tag, und im tieferen Winter bleibt auch das zuweilen aus. Sie alle, Schwalbe und Feldblume, Schmetterling und Dampfschiff, sind mir lieb und haben mir diesen Sommer hindurch viele Freuden gebracht; ich möchte sie alle noch ein wenig halten und noch einmal recht zu eigen haben, ehe sie dahingehen. Was für ein Narr bin ich gewesen, wie viele Sommerstunden bin ich trotz alledem im Hause und am Büchertisch gesessen, wie viele Abende und Morgenfrühen habe ich versäumt! Ade auch, ihr ungenossenen Tage, die ihr nun schöner und köstlicher scheint als alle anderen!
    Über dem Abschiednehmen kommt dann auch das Neue zu Ehren, das der unwillkommene Herbst gebracht hat: silberne Nebelschleier, braune und lachend rote Farben im Laub, reifende Trauben, volle Obstkörbe, beginnendeAbendunterhaltungen im Hause bei Lampenlicht, ferner wundersame, aufregend herrliche Sturmtage, an denen See und Lüfte tönen und die ganze stumme Schöpfung Stimme erhält. Jetzt kommt auch als täglicher, andächtiger Genuß an jedem Vormittag der spielende Kampf der Sonne mit dem Nebel, das trüb ringende Hin und Her und der feierliche, königliche Sieg des Lichtes. Und wenn der Oktober und die Weinlese kommen, wollen wir uns einen Tag und einen Taler nicht reuen lassen und bei einem großen Kruge vom Neuen dankbar der vielen unverdienten Freuden und ungesucht gefundenen Genüsse gedenken, die das alternde Jahr uns gebracht hat.
    (1905)
/ SEPTEMBER /
    (1907)
    Herbst will es werden allerwärts.
Ob Astern auch und Georginen
Im Garten glühn mit Freudemienen,
Sie tragen doch geheimen Schmerz.
    Die Abendberge träumen nun
So gold und rot am blauen Bande,
Als wär es rings im weiten Lande
Um lauter Glanz und Lust zu

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