Herbst
den Rücken, ganz langsam schwimmend, und hing mit wartenden Augen am Himmel, unbefriedigt, überdrüssig. Ich hätte mein Leben für das Gefühl der Fülle und des Genusses gegeben, nach dem ich dürstete.
Und dann schwamm ich zurück und bestieg das Boot wieder mit der ganzen dumpfen Trauer des Herbstes, des Abschieds und der inneren Ungewißheit.
Seither bin ich ruhiger geworden. Mein Prinzip hat gesiegt, ich genieße nun diese Trauer und Hoffnungslosigkeit, wie ich mich gewöhnt habe, auch schlechtes Wetter zu genießen. Sie hat ihre eigene Süßigkeit. Ich unterrede mich mit ihr und spiele auf ihr, wie ein Sänger auf einer schwarzen in Moll gestimmten Harfe spielt. Was will ich imGrunde anderes von jedem Tag als eine Stimmung, eine ihm eigentümliche Farbe und, wenn es glückt, ein Lied?
(Aus: »Hinterlassene Schriften und Gedichte
von Hermann Lauscher«, 1900)
/ ÄHREN IM STURM /
O wie der Sturm so dunkel braust!
Wir neigen ängstlich und zerzaust
Uns tief vor seiner schauerlichen Macht
Und bleiben zitternd wach die ganze Nacht.
Wenn wir morgen noch leben werden,
O wie wird dann der Himmel tagen
Und warme Luft und Geläut von Herden
Selige Wellen über uns schlagen!
// STURM
Am verstürmten Himmel trieben zerfaserte Wolkenbänder, grau und lila, und ein heftiger Wind empfing mich, als ich am nächsten Vormittag nicht zu früh meine Weiterreise antrat. Bald war ich oben auf dem Hügelkamm und sahdas Städtchen, das Schloß, die Kirche und den kleinen Bootshafen eng und spielzeughaft am Gestade unter mir liegen. Schnurrige Geschichten aus der Zeit meines früheren Hierseins fielen mir ein und machten mich lachen. Das konnte ich brauchen, denn je näher ich dem Ziel meiner Wanderung rückte, desto befangener und schwüler wurde mir, ohne daß ich es mir gestehen mochte, das Herz.
Das Gehen in der kühlen sausenden Luft tat mir wohl. Ich hörte dem ungestümen Wind zu und sah im Vorwärtsschreiten auf dem Gratsteig mit aufregender Wonne die Landschaft weiter und gewaltiger werden. Von Nordost her hellte der Himmel auf, dorthinüber war die Aussicht frei und zeigte lange, bläuliche Gebirgszüge in großartiger Ordnung aufgebaut.
Der Wind nahm zu, je höher ich kam. Er sang herbstlich toll, mit Stöhnen und mit Lachen, fabelhafte Leidenschaften andeutend, neben denen unsere nur Kindereien wären. Er schrie mir niegehörte, urweltliche Worte ins Ohr, wie Namen alter Götter. Er strich über den ganzen Himmel hinweg die irrenden Wolkentrümmer zu parallelen Streifen aus, in deren Linie etwas widerwillig Gebändigtes lag und unter welchen die Berge sich zu bücken schienen.
Dem Brausen der Lüfte und dem Anblick der weiten Bergländer wich die leise Befangenheit und Bänglichkeitmeiner Seele. Daß ich einem Wiedersehen mit meiner Jugendzeit und einem Kreise noch ungewisser Erregungen entgegenging, war nicht mehr so wichtig und beherrschend, seit Weg und Wetter mir lebendig geworden waren.
Bald nach Mittag stand ich ausruhend auf dem höchsten Punkte des Höhenweges, und mein Blick flog suchend und bestürzt über das ungeheuer ausgebreitete Land hinweg. Grüne Berge standen da und weiter entfernt blaue Waldberge und gelbe Felsberge, tausendfach gefaltete Hügelgelände, dahinter das Hochgebirg mit jähen Steinzacken und bleichen Schneepyramiden. Zu Füßen in seiner ganzen Fläche der große See, meerblau mit weißen Wellenschäumen, zwei vereinzelte flüchtige Segel darauf, geduckt hingleitend, an den grün und braunen Ufern lodernd gelbe Weinberge, farbige Wälder, blanke Landstraßen, Bauerndörfer in Obstbäumen, kahlere Fischerdörfer, hell und dunkel getürmte Städte. Über alles weg bräunliche Wolken fegend, dazwischen Stücke eines tief klaren, grünblau und opalfarben durchleuchteten Himmels, Sonnenstrahlen fächerförmig aufs Gewölk gemalt. Alles bewegt, auch die Bergreihen wie hinflutend und die ungleich beleuchteten Alpengipfel jäh, unstet und springend.
>Mit dem Sturm- und Wolkentreiben flog auch mein Fühlen und Begehren ungestüm und fiebernd über die Weite, ferne Schneezacken umarmend und flüchtig in hellgrünen Seebuchten rastend. Alte, betörende Wandergefühle liefen wechselnd und farbig wie Wolkenschatten über meine Seele, Empfindung der Trauer über Versäumtes, Kürze des Lebens und Fülle der Welt, Heimatlosigkeit und Heimatsuchen, wechselnd mit einem hinströmenden Gefühl der völligen Loslösung von Raum und Zeit. Langsam verrannen die Wogen, sangen und schäumten nicht
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