Herbstfraß
haben und unsere Anzeige im Telefonbuch lediglich eine Viertelseite umfasst. Vielleicht vertraut er wirklich auf die Ermittlungen der Polizei, Tweety. Und der Himmel weiß, warum Ingo verschwunden ist. Es gibt hundert Gründe, die nichts mit seinem Stiefvater zu tun haben.“
„Ich mag den Nolte trotzdem nicht.“
„Fakten, Bo, keine Intuition.“
„Überprüfe ihn für mich, okay, Dot?“
Bo lächelt mich gewinnend an. Wie könnte ich einem solchen Strahlen widerstehen? Mein Tweety parkt die Bundeswehrkiste am Straßenrand.
„Hier wohnt also Sabine.“ Er löst den Sicherheitsgurt und steigt aus dem Wagen. Ich folge ihm und schon klingeln wir an der nächsten Haustür.
10:53 Uhr
Sabine selbst öffnet uns die Tür. Wir stellen uns vor, zeigen unsere Ausweise und erklären ihr, weshalb wir sie sprechen wollen. Ein wenig zögernd bittet uns Ingos Freundin ins Haus. Herausgeputzt wie ein Modepüppchen steht sie schließlich am Küchenfenster und wickelt sich eine blond gefärbte Haarsträhne um den Finger. Sie taxiert Bo mit den Blicken wie ein Jäger seine Beute, was mich insgeheim ein bisschen belustigt. Bo ignoriert solche schmachtenden Augen mit jahrelanger Übung.
„Seit Wochen habe ich Ingo nur in der Schule gesehen. Eigentlich wollte ich bereits Schluss machen“, berichtet Sabine bereitwillig. „Er hat jedes Date in der letzten Zeit abgesagt. Angeblich ist ihm immer etwas dazwischen gekommen. Aber er hat nie gesagt, was es war.“
„Fällt dir vielleicht ein Grund dafür ein?“, fragt Bo.
Sabine schüttelt den Kopf, verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich gegen das Fensterbrett. Sie lächelt Bo an. Zuckersüß. Ich könnte glatt Karies bekommen.
„Hattet ihr Streit?“, frage ich.
Jetzt zuckt sie mit den Schultern. „Nicht wirklich. Am Anfang lief es zwischen uns richtig toll. Er war sehr aufmerksam und wollte dauernd mit mir ins Bett. Das hat mir geschmeichelt. Ingo ist nämlich eine absolute Sahneschnitte. Und mit mir ist er bislang am längsten zusammen.“
Soviel zum Thema Händchenhalten, Frau Nolte-Aschendorff. Ich verkneife mir ein Grinsen.
„Seit ein paar Wochen herrscht jedoch tote Hose. Ingo hat einfach keine Zeit mehr. Er sei etwas auf der Spur, hat er zu mir gesagt. Hallo, geht’s noch? Ich bin eine Frau mit Bedürfnissen. Das können Sie sicherlich verstehen, nicht wahr?“, fragt sie Bo. Mit ernster Miene und ohne mit der Wimper zu zucken, stimmt Bo ihr zu.
„Und ob ich das verstehe.“ Sein charmantes Lächeln lässt Sabine für einen Moment den Faden verlieren.
„Was denn für eine Spur?“, frage ich, bringe mich damit erneut in Erinnerung und mache mir eine geistige Notiz, Bo niemals mehr zur Befragung eines weiblichen Zeugen mitzunehmen.
„Keine Ahnung. Ich habe Ingo nicht weiter gefragt. Mich stinkt es lediglich an, dass er ständig keine Zeit für mich hat. Ich bin nicht der Typ, der sich einen Termin beim eigenen Freund geben lässt.“ Erneut schmachtet Sabine meinen Tweety an.
„Frau Nolte-Aschendorff sagte uns, mehr als ab und an ein Küsschen wäre zwischen euch nicht vorgekommen“, sage ich, um sie von Bo abzulenken und dafür etwas deutlicher an ihren Freund zu erinnern. Entgeistert sieht mich Sabine an. Dann lacht sie los, um kurz darauf abrupt ernst zu werden. Bestimmt hat sie Angst bekommen, dass ihr Mascara verwischen könnte. In Anbetracht von Bos Anwesenheit sicherlich eine mittelschwere Katastrophe.
„Seine Mutter hat überhaupt keinen Schimmer.“ Sabine kichert. „Allein mit Küssen gibt sich Ingo nicht ab.“
Endlich wird sie wieder ernst und kneift die Augen ein wenig zusammen.
„Wie gesagt, es war alles toll. Bis Ingos dubiose Spur mitten in unsere Beziehung grätschte. Dazu schleppt ihn der Nolte neuerdings dauernd mit ins Büro, wo sich Ingo sein Taschengeld verdienen muss. Er soll die Firma später einmal übernehmen. Dabei kann Ingo mit Architektur überhaupt nichts anfangen. Deswegen hat er sich immerzu mit dem Nolte gestritten.“
„Hast du vielleicht eine Idee, wo sich Ingo aufhalten könnte?“, fragt Bo. Erneutes Kopfschütteln.
„Ich habe Stefan gefragt. Der ist sein bester Freund. Bei ihm hat Ingo öfters übernachtet, wenn ihm der Nolte auf den Zeiger ging. Aber Stefan hat ebenfalls keinen Plan, was mit Ingo los ist.“
Bo reicht Sabine eine unserer Visitenkarten. „Wäre prima, wenn du uns anrufst, falls du eine Idee bekommst, wo Ingo stecken könnte, okay?“
Sabine strahlt wie ein
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